A Star Is Born (1954)
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Hollywood lief schon immer zur Bestform auf, wenn es sich von seiner schlechtesten Seite präsentierte. Das gilt nicht erst seit Robert Altmans ungemein zynischem „The Player“ (1992), in dem die Miesesten die Erfolgreichsten sind. Bereits in „Sunset Boulevard“ warf Regisseur Billy Wilder einen düsteren Blick auf die Traumfabrik und die Menschen, die sie hervorbringt. Der Film erzählt von einer gealterten Stummfilmqueen, deren Karriere dem Übergang zur Tonfilm-Ära zum Opfer gefallen ist und deren verzweifelter Comeback-Versuch sich zur Manie steigert. Das war 1950. Vier Jahre später beleuchtete erneut eine große Hollywood-Produktion die irrsinnige Kehrseite des Starrummels: „A Star Is Born“ handelt von einem weltberühmten Schauspieler, der sich mit seiner Alkoholsucht ruiniert, jedoch eine große Begabung entdeckt und deren Karriere fördert. In schauspielerischen Glanzleistungen sezieren die realen Stars Judy Garland und James Mason das überdrehte Star-Wesen und die unerbittlichen Mechanismen des Studiosystems.
Die künstlerische Klasse dieses Films zeigt sich gleich zu seinem Beginn, an dem eine glamouröse Benefizgala stattfindet. Diese Sequenz, in der Masons Norman Maine hinter den Kulissen im lallenden Singsang des eskapistischen Alkoholikers umhertorkelt, auf ihren Auftritt wartende Tänzerinnen begrapscht und gierige Fotografen wegschubst, gehört zu den besten Szenen, die jemals gespielt worden sind. Am Ende bewahrt ihn die unbekannte Tänzerin Esther Blodgett (Judy Garland) vor noch größeren Peinlichkeiten, indem sie den besoffenen Maine kurzerhand in ihre Performance einbezieht und dabei elegant von der Bühne bugsiert. Schon mit dieser Improvisationsleistung deutet Blodgett ihr Potenzial an, das zunächst nur Maine erkennt.
Im Räderwerk der Filmindustrie
In einer Mischung aus trunkener Euphorie und sensiblem Blick für künstlerisches Talent überredet Maine seine Retterin später, ihre Band zu verlassen, um in Los Angeles zu bleiben – und eine ganz große Karriere anzustreben. Er will ihr dabei helfen, vergisst jedoch bis zum nächsten Morgen, wo sie wohnt und wie er sie finden kann. Während sich Esther Blodgett als Bedienung in einem Fastfood-Tempel durchschlägt, lässt Maine nach ihr suchen. Als er sie schließlich findet, schleust er sie mithilfe seiner erstrangigen Kontakte in eines der großen Studios. Hier lernt Blodgett Logik und Regeln des damaligen Studiosystems kennen: Für ihre Begabungen oder gar ihre Persönlichkeit interessiert sich dort nämlich niemand; als eine von hunderten, vielleicht tausenden anderen landet sie im Räderwerk dieser schnell drehenden Maschinerie.
Als erstes wird sie zu Schönheitsspezialisten geschickt; während sie auf dem Stuhl sitzt, fachsimpeln drei Chirurgen über ihre vermeintlichen Schwachstellen („It’s the nose. The nose is the problem.“). Dass die Frauen damals häufig mit plastischer Chirurgie für die Leinwand „optimiert“ wurden, wäre für diesen Film dann vermutlich wohl doch zu viel des Guten gewesen – am Ende wird ein amüsierter Maine einer missmutigen Blodgett lediglich die angeklebten Nasensegmente wieder abziehen und sie von der Schminkmaske befreien, von einem operativen Eingriff ist sie also verschont geblieben.
Als nächstes durchläuft sie die Marketing-Abteilung und erhält ungefragt einen neuen Namen („Esther Blodgett.“ „We’ll have to do something about that, right away. Don’t worry about it.“). Weil sich nach Ansicht der PR-Experten mit „Esther Blodgett“ kein Starrummel betreiben ließe, firmiert sie ab sofort als Vickie Lester. An jeder Station wird sie mit den Worten „Glad to have you with us.“ abgefertigt, die in der hier gesprochenen Beiläufigkeit zur höchstmöglichen Phrasenhaftigkeit verkommen.
Während Esther einen Leinwand-Hit nach dem anderen dreht, verbringt Maine die Tage bald nur noch beim Golfspiel im Wohnzimmer, während draußen die pittoresken Wellen am Strand von Malibu rauschen. Seine Karriere geht schnurstracks bergab: Von Anrufern wird er für den Butler gehalten, der Postbote erkennt ihn nicht. Durch seine öffentlichen Alkohol-Eskapaden, seine peinlichen Auftritte in den illustren Kreisen der oberflächlichen Hollywood-Familie machen ihn dort zum Paria. Und auch hier, wie zu Beginn des Films, spielt James Mason diesen verglühten Stern mit einer berührenden Hingabe, einer bestürzenden Glaubwürdigkeit. „I made a lot of money for you. I need a job“, lallt er mit schweißnasser Stirn und verwegener Haartolle, als er auf der Bühne der „Oscar“-Zeremonie herumirrt.
Die „Oscars“ erhielten andere
James Mason (1909–84): Als sich „A Star Is Born“ 1954 in monumentalem CinemaScope über die Kinoleinwände legte, hatte sich der Brite gerade als Generalfeldmarschall Erwin Rommel („Rommel, der Wüstenfuchs“, 1951), Verräter Brutus („Julius Caesar“, 1953) und schwarzer Ritter („Prinz Eisenherz“, 1954) in Hollywoods Oberklasse gespielt. Für seine Darbietung in dem Hollywood-kritischen Film wurde er zwar für einen „Oscar“ nominiert – doch der ging an Marlon Brando, für dessen dramatische Darstellung eines New Yorker Hafenarbeiters in „Die Faust im Nacken“ (1954). Mason war dann noch zwei weitere Male nominiert (1967 und 1983), doch immer wieder erfolglos.
Aber nicht nur Mason, der mit rund 450.000 Dollar die damals höchste Gage seit Langem kassierte, ist in diesem Film brillant. Auch Garland, die nach vierjähriger Leinwandabsenz mit diesem Drama zurückkehrte, spielt famos: Etwa, wenn ihre Esther/Vickie im einen Moment in der Garderobe vor dem konsternierten Studioboss in Tränen ausbricht, um kurz darauf wieder vor die Kameras zu treten und eine perfekte Darbietung abzuliefern – eine schockierende Professionalität, authentisch dargestellt. Ganz abgesehen davon, die dreifache Herausforderung des Spielens, Singens und Tanzens mit geradezu unheimlicher Perfektion zu meistern.
Allerdings kam auch Judy Garland bei den Academy Awards 1955 nicht über eine Nominierung hinaus: Für die beste weibliche Hauptrolle wurde Grace Kelly („The Country Girl“, 1954) ausgezeichnet. Das kam für viele überraschend, galt doch Garland als sichere Gewinnerin. Humphrey Bogart und Lauren Bacall hatten sich bereits auf ihre Fahrt ins Krankenhaus vorbereitet, um der dort in den Wehen liegenden Garland den „Oscar“ zu überbringen; Kamerateams hatten sich mit einem Stahlgerüst in Stellung gebracht, um durch das Hospitalfenster zu lugen. Immerhin hatte Garland die goldene Statuette bereits 1940 erhalten – und mit der Geburt ihres Sohnes eine wohl weitaus größere Freude. Überhaupt hatte sie ja mit „A Star Is Born“ ein eindrucksvolles Comeback hingelegt, war als gefeierte Weltklasse-Aktrice zurückgekehrt – die Wiedergeburt eines Sterns, der einst im Jugendalter aufgestiegen war (und zumindest gewannen Garland und Mason je einen „Golden Globe“).
Garland (1922–69) ist eine bemerkenswerte Besetzung für die Rolle einer jungen Frau, die infolge ihrer Ambitionen mit den destruktiven Seiten des Showgeschäfts konfrontiert wird und sich aufreibt, um den perfektionistischen Ansprüchen ihrer Arbeitgeber und des Publikums gerecht zu werden. Ihre Vita ist ein Monument, das an die möglichen Begleiterscheinungen einer großen Hollywood-Karriere gemahnt. Denn Garland hat all das selbst erlebt. Neben Mickey Rooney und Shirley Temple zählte sie zu den Kinder- und Jugendstars der amerikanischen Unterhaltungsindustrie, während Dreharbeiten wurden ihr Aufputschmittel verabreicht, als „A Star Is Born“ 1954 in die Kinos kam, war sie bereits zum dritten Mal verheiratet und hatte einen Selbstmordversuch hinter sich. Zwei weitere Ehen folgten, ehe sie im Juni 1969 an einer Überdosis Schlaftabletten starb.
Simple Komplexe und subtiler Kitsch
„A Star Is Born“ ist inzwischen so etwas wie das Gütesiegel einer periodischen Selbstbeschau der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Der Originalfilm stammt aus dem Jahr 1937; darin spielen Janet Gaynor und Fredric March das tragische Duett der parallel auf- und absteigenden Stars. Nachdem 1954 Garland und Mason ihre Neuauflage dargeboten hatten, folgte dann 1976 eine dritte Version – diesmal mit den zeitgenössischen Entertainment-Granden Barbra Streisand und Kris Kristofferson (der sich im Hinblick auf seinen damaligen Lebenswandel hier größtenteils selbst gespielt hat).
Mit George Cukor (1899–1983) saß bei „A Star Is Born“ ein Mann auf dem Regiestuhl, der damals Hollywood bereits in- und auswendig kannte. Noch im vorherigen Jahrhundert geboren, arbeitete er an Filmsets der 1920er Jahre, sein Regiedebüt gab er 1931. Er hatte mit unzähligen Superstars gedreht, mit Joan Crawford, Greta Garbo, Katharine Hepburn, Ingrid Bergman. Die (zeitlosen) Marotten und Neurosen, von denen „A Star Is Born“ erzählt – das Blitzlichtgewitter am roten Teppich, die egoistischen Studiobosse, die oberflächlichen Bekanntschaften unter den Bewohnern dieses überdrehten Mikrokosmos – dürften Cukor nur zu gut bekannt gewesen sein.
Die tragische Liebesgeschichte, der Aufstieg der einen, der Abstieg des anderen – an der Oberfläche wird hier reichlich Kitsch dargeboten, doch konterkarieren dies subtile Dialoge und Gesten. Die Botschaft des Films ist ebenso simpel wie pessimistisch: Glück findet man hier nicht, Menschlichkeit kommt immer nur in einer künstlichen Form daher, als Produkt kommerzieller Interessen – die Menschen von Hollywood leiden unter vielerlei Komplexen. Chromstrotzende Limousinen und luxuriöse Strandvillen sind die stummen Insignien der Stars; aber sie lindern lediglich die Frustrationen und Depressionen, die mit Ruhm und Prominenz einhergehen und deren Preis ihre Vergänglichkeit ist.
So etwas Ähnliches wie Glück finden allein die Maschinisten der Traumfabrik, die den Laden am Laufen halten: die Pressemanager, die Schönheitschirurgen, die Dekorations-Leute. Mit der Mittelmäßigkeit kommt man durch, wohingegen künstlerisches Genie immer mit einem gehörigen Maß an Selbstzerstörungspotenzial einhergeht. Man mag diese Quintessenz von „A Star Is Born“ banal finden. Der Film aber ist es nicht.
TextRobert Lorenz
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