Filmtipp

Jacknife (1989)

Kurzbeschreibung:Jacknife“ besticht als Veteranendrama über die Vietnamkriegsbitternis der amerikanischen Arbeiterklasse.

Social-Media-Optionen

Ed Harris und Robert De Niro wie sie fast nicht zu erkennen sind: als zwei unterschiedlich stark traumatisierte Vietnam-Veteranen, die mit ihrer Reintegration in die Heimatgesellschaft kämpfen, wie gegen einen neuen Feind. Während Megs (De Niro) einigermaßen aus dem extremen Alltag des Dschungelkrieges zurück in seine kleinbürgerlich-proletarische Existenz gefunden hat, ist sein Kumpel Dave (Harris) vom Highschool-Helden zum Alkoholwrack verkommen. „Jacknife“ ist ein einfühlsames Drama über Kriegsheimkehrer, die durch ihre Horror­er­fahrungen beinahe aussichtslos von der Mehrheitsbevölkerung, in deren Namen sie einst loszogen, entfremdet sind.

Dabei hatten Megs und Dave sogar noch Glück: Fast 60.000 ihrer Kameraden kehrten aus dem höllischen Vietnamkrieg nicht zurück; und ebenso viele Veteranen begingen angeblich Selbstmord, und nochmal so viele sind Schätzungen zufolge obdachlos. Dieser Krieg war für die USA ein Desaster, ein ewiger Makel ihrer Geschichte, und hat vermutlich wie kein anderer die psychischen Deformierungen von Kriegsheimkehrern in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerufen. Auch die Filmindustrie nahm sich diesem Phänomen mit etlichen Werken an, zu denen neben David Hugh Jones’ Drama „Jacknife“ auch Coming Home“ (1978), Cutter’s Way“ (1981) oder Born on the Fourth of July“ (1989) gehören.

Ed Harris und Robert De Niro lehnen in proletarischem Look an einem Muscle car in trist-kleinstädtischer Umgebung.
Ed Harris als Dave an der Theke einer spärlich beleuchteten Bar, im Hintergrund der Barkeeper in skeptischer Haltung.

Diese Filme können freilich bloß andeuten, wie schwer den Überlebenden dieses Krieges gefallen ist, in einen normalen Alltag zurückzufinden. Was sie erlebt haben, kann kaum jemand erahnen, den Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter vollzogen sie nicht in ihrem Heimatort, sondern in einem brutalen Kampf auf Leben und Tod. „Jacknife“ veranschaulicht das mit einer geduldigen, manchmal quälenden Ausführlichkeit anhand zweier Charaktere, die beide in unterschiedlichem Ausmaß an ihrer Soldatenvergangenheit leiden.

Megs, genannt „Jacknife“, ist Mechaniker und schraubt in einer kleinen Werkstatt an Autos herum; Dave fährt für eine Spedition große Trucks. Manchmal treffen sich die beiden auf ein paar Bier und reden über das, was sie verbindet: Vietnam. Trotz ihres gemeinsamen Einsatzes in derselben Einheit verarbeiten sie ihre Erlebnisse unterschiedlich: Megs ist durchtrainiert, arbeitet hart und gibt sich unternehmungslustig. Dave verkriecht sich in seinem Elternhaus, das er mit seiner Schwester Martha (Kathy Baker), einer Lehrerin, bewohnt und dessen Inneneinrichtung mit ihren Tapeten, Großmuttermöbeln und Nippes ein grausames Ästhetikverbrechen darstellt, das sich mit dem trüben Wetter zu einer unendlich tristen Optik ergänzt.

Dave badet die meiste Zeit über in Selbstmitleid und steht an der Schwelle zum schweren Alkoholismus. Nach einer durchzechten Nacht schläft er seinen Rausch aus, schleppt sich zur Arbeit, ist depressiv und ausgezehrt. Der Dschungelkrieg hat aus dem einstigen Highschool-Sport­helden, dem strahlenden All-American guy, ein mentales Wrack gemacht – einen bierbäuchigen Mann, der sich selbst nicht zu helfen weiß, aber fremde Hilfe ablehnt. Als Megs eine Affäre mit Daves Schwester beginnt, droht Dave völlig die Fassung zu verlieren. Flashbacks zeigen furchtbare Erlebnisse in Vietnam, wo Dave und Megs ihren besten Kumpel Bobby (Tom Isbell) verloren haben. Megs lässt sich zu einer Amokfahrt im vollbeladenen Truck hinreißen, Dave demoliert unter cholerischen „Bullshit“-Rufen die Trophäenvitrinen seiner alten Schule.

Nahaufnahme von Robert De Niro in Soldatenmontur beim Abfeuern eines Maschinengewehrs, einen Patronengurt um den Unterarm gewickelt.
Zwei Personen beim Angeln in der Wildnis, eine steht im Fluss, die andere auf einem Fels.

Jacknife“ ist einer der Filme, bei denen die Handlung nicht so wichtig ist. An sie wird man sich nicht erinnern; wohl aber an diese beiden Vietnam-Visagen, die Ed Harris und Robert De Niro ohne viel Aufhebens, realistisch, spielen. Ed Harris ist ja bekannt als Mann für die Rolle des Bösewichts, des fiesen Manipulators, diabolischen Psychopathen oder des wirklich harten Hundes. Wenn man ihn in all diesen Rollen gesehen hat, imponiert einem umso mehr der Facettenreichtum, den Harris mit seinem psychisch instabilen Dave präsentiert.

Das ist nicht der notorische Harris, dieser cool-unheimliche Glatzkopf, der sein Gegenüber zum Objekt eines ausgeklügelten Plans macht und sich seiner absolut sicher ist wie der Psychopath in „Just Cause“ (1995) oder der Gangsterboss in „State of Grace“ (1990). Allein sein Äußeres: Unter der Nase klemmt ein blonder Schnäuzer, die lichten Haare sind dort lang, wo sie noch wachsen, auf dem Schädel klafft eine riesige Lücke; gekleidet ist er im Holzfällerhemd unter einer Weste, die Trucker Cap macht ihn endgültig zu einem Anti-Model der Siebziger und Achtziger. Momente, in denen er zärtliche Worte an seine Schwester richtet, die unter seinen Depressionen fast zusammenbricht, wechseln mit Augenblicken, in denen er sich an einer finsteren Bar reihenweise Schnäpse einflößt, irgendwelche Pillen einschmeißt, um dann schreiend aus einem Flashback zu erwachen.

Vier US-amerikanische Soldaten im Gefecht.
Ed Harris mit Schnäuzer und Kathy Bates in einer proletarisch anmutenden Küche; er sitzt am Tisch, während sie im Mantel und mit Aktentasche neben ihm steht.

Aber auch De Niro sieht unmöglich aus: Schon die Anfangsszene zeigt ihn, wie er sich in Unterhose aus dem Bett quält; er trägt einen dunklen Vollbart und schulterlanges, sichtlich ungewaschenes Haar, das er manchmal zu einem Pferdeschwanz zusammenbindet. Später rasiert er sich den Bart zu einem Schnäuzer, mit dem man den Begriff „Pornobalken“ optisch definieren könnte und der ihn in ästhetisch grauenvoller Kombination mit einer neuen Frisur wie einen Achtzigerjahre-Stalin aussehen lässt. So oder so: Harris und De Niro verkörpern die deprimierten Kriegsveteranen glänzend und verleihen dem ansonsten wenig spektakulären Film das entscheidende Moment, das ihn dann doch aus der Masse heraushebt.

Text verfasst von: Robert Lorenz