Birdy (1984)
Social-Media-Optionen
Ein Mensch (Matthew Modine), Anfang zwanzig, kauert wortlos in der Zelle einer psychiatrischen Einrichtung; nachts sitzt er unbekleidet auf dem Bettgeländer, vom Pflegepersonal lässt er sich erst nach guter Zurede füttern, ansonsten ist er für jedwede Kommunikation unzugänglich. Der Mann ist Vietnam-Veteran, körperlich unverletzt zurückgekehrt, trägt seine Seele anscheinend eine tiefe Wunde. In seiner Ratlosigkeit bestellt der behandelnde Arzt schließlich den Jugendfreund des schwierigen Patienten ein – die letzte Maßnahme, ehe er unter Medikation gesetzt und damit für eine erfolgreiche Therapie abgeschrieben wird.
Al Columbato (Nicolas Cage) ist ebenfalls nur knapp dem Dschungelkrieg entkommen und war einstmals von athletischem Körperbau, ist jetzt derangiert, aufgrund einer schweren Verwundung mit bandagiertem Gesicht. Er soll nun seinem alten Kumpel menschliche Reaktionen entlocken, um ihn wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen. Als auch Columbatos Versuche keine Besserung bewirken, da beginnt der Arzt an den Erfolgsaussichten zu zweifeln – Al läuft die Zeit davon, um seinen besten Freund nicht für immer an die Armeepsychiatrie zu verlieren.
Natürlich folgen Rückblenden, sie zeigen die Entstehung der Freundschaft zwischen den völlig ungleichen Persönlichkeiten in der US-Metropole Philadelphia, der „City of Brotherly Love“. Al Columbato steht der Sinn hauptsächlich nach Mädchen, Partys und belanglosem Zeitvertreib. Ganz anders der sozial verschlossene Birdy, der Tauben dressiert, an einer filigranen Flugvorrichtung für Menschen bastelt und in seinem Jugendzimmer possierliche Kanarienvögel herumflattern lässt. Trotz seiner Vogelspleens wird Birdy ihm während der High-School-Zeit ein Freund fürs alltägliche Herumhängen in der heruntergekommenen Slum-Gegend, in der sie aufgewachsen sind; auch ist Birdy der Einzige, der Als cholerischem Vater Paroli bietet.
Doch gerät Birdy (sein wirklicher Name wird nie enthüllt) mit der Zeit immer wunderlicher: Nahezu manisch widmet er sich dem Bau künstlicher Flügel, die ihn vogelgleich in die Lüfte heben sollen; postadoleszenten Freuden scheint er völlig abgeneigt, wenn er zwar seine Mitschülerin Doris zum Abschlussball ausführt, jedoch völlig ungerührt bleibt, als diese ihm „zur Belohnung“ ihren Oberkörper entblättert – dagegen trägt seine Beziehung zu den Kanarienvögeln deutlich romantischere Züge. Eines Tages berichtet Birdy dann, wie ein Vogel durch die Straßen und Gärten von Philadelphia geflogen zu sein – rückblickend ein Vorzeichen für sein Verhalten in der Psychiatrie, in der er für seinen verzweifelten Kumpanen offensichtlich in der Haltung eines eingesperrten Vogels vegetiert?
„Birdy“ basiert auf einem preisgekrönten Roman von William Wharton (1925–2008) und ist ein mitreißender Emotionskompott: traurig, witzig, beklemmend, kriegs- und gesellschaftskritisch zugleich. In der literarischen Vorlage verarbeitet Wharton eigene Erlebnisse: Geboren in Philadelphia, hielt er als Jugendlicher, und auch später noch, eine ganze Luftflotte von Kanarienvögeln; als US-Soldat wurde er im Zweiten Weltkrieg während der fürchterlichen Ardennen-Schlacht im Winter 1944 schwer verwundet. Cage (*1964) und Modine (*1959), die bei „Birdy“ beide noch als Youngsters der Schauspielbranche in ihrer Debütphase steckten, liefern eine beeindruckende Performance ab (wobei Modine ursprünglich für die Rolle des Al Columbato vorgesprochen hatte). Peter Gabriel hat den Soundtrack beigesteuert, Ex-Werbeclip-Filmer Alan Parker, der vier Jahre später das packende Antirassismus-Statement „Mississippi Burning“ (1988) drehte, führt Regie. Während die meisten Szenen auf die trostlose Krankenzelle und das Vorkriegsleben in den Arbeitervierteln von „Philly“ entfallen, thematisieren nur kurze Aufnahmen den Kampfeinsatz der beiden Protagonisten – doch verdichten sich darin die Schrecken des Kriegs aus Soldatensicht umso heftiger. Kurzum: „Birdy“ ist ein ungewöhnlicher Antikriegsfilm, den man sich nicht entgehen lassen sollte.
TextRobert Lorenz
: