Filmtipp

Klute (1971)

Kurzbeschreibung: Mit „Klute“ schuf Alan J. Pakula einen düsteren New Hollywood-Trip durch New Yorks Prostituiertenmilieu der frühen Siebziger. Für ihre außergewöhnliche Performance als Metropolencallgirl räumte Jane Fonda damals den Oscar und den Golden Globe ab.

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Schmutzig und düster ist es in diesem Film. Den Zuschauern begegnet hier die gleiche monochrome Tristesse, in die auch The Conversation“ (1974), McCabe & Mrs. Miller“ (1971) oder The French Connection“ (1971) getaucht sind. Es ist die schonungslose, implizit brutale Optik des New Hollywood-Kinos, die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren mit den falschen Fassaden der alten Hollywoodproduktionen brach. Und die Filmemacher dahinter waren Regisseure wie Stanley Kubrick oder Francis Ford Coppola.

Die verhöhnt der alte Billy Wilder, ein Altmeister mit leiser Verachtung für audiovisuelle Experimente, in seinem Drama Fedora“ (1978) in Gestalt des Protagonisten Barry Detweiler – eines gescheiterten Filmemachers, gespielt von William Holden (1918–81), einem der klassischen Hollywoodhelden –, der sich über die „kids with beards“, die keine Drehbücher, sondern bloß noch ihre Handkamera mit Zoomlinse benötigten, echauffiert. Neben Kubrick und Coppola war damit auch Alan J. Pakula gemeint – und das nicht nur, weil er tatsächlich einen Vollbart trug.

Jane Fonda als Bree Daniels und Donald Sutherland als Klute in einem blass ausgeleuchteten Zimmer, rechts am Rand ist eine Frau erkennbar, zu der beide schauen.

Ebendieser Pakula schuf mit „Klute“ einen geradezu prototypischen New Hollywood-Streifen, der die Routinen bisherigen Filmemachens mit unkonventioneller Technik und Dramaturgie auf den Kopf stellte, indem er etwa auf künstliche Kulissen ebenso verzichtete, wie er Pathos und Heroik in den überschwänglichen Dosen unzähliger Hollywoodwerke der 1950er und 1960er Jahre eine radikale Absage erteilte. In Pakulas „Klute werden keine aufwendigen Szenerien arrangiert; zumeist genügt es, eine Kamera in die Straßen von – in diesem Fall – Harlem zu schieben oder in einem der zahllosen Appartements von New Yorks heruntergekommenen Mietskasernen zu platzieren.

Mit dieser Minimalistik werden die Charaktere aufgenommen, zumeist in Dunkelheit gehüllt, weil die einzige Lichtquelle eine Schreib- oder Nachttischlampe ist. Die damals relativ unkonventionelle Inszenierung wird komplettiert vom nahezu völligen Verzicht auf scheppernde Orchestermusik, wie man sie aus den Filmen vorangegangener Dekaden kennt (lediglich psychedelische Sirenengesänge begleiten die Suspense-Szenen). Die Stille verleiht den an Objekten und Menschen irritierend armen Bildern eine klaustrophobische Aura, zu der auch die latente Allgegenwart eines bedrohlichen Gegenspielers beiträgt, der aber nie gezeigt wird.

Party mit Prostituierten und Freiern.

War Coppolas „The Conversation ein Ausflug in die seltsame Subkultur von Abhörspezialisten und zeigte uns Robert Altmans „McCabe & Mrs. Miller den Wilden Westen jenseits verklärender Frontier-Romantik, so entführt uns „Klute“ in das New Yorker Prostituiertenmilieu, wo Drogenabhängigkeit und Mord unvermeidliche Begleiterscheinungen sind. Dorthin gelangen die Zuschauer an der Seite des titelgebenden John Klute (Donald Sutherland), eines Kleinstadtpolizisten, der im Auftrag von Freunden einen Verschollenen sucht. Denn die zuständigen Behörden, überfordert und abgestumpft vom Großstadtmoloch, haben ihre Ermittlungen längst eingestellt. Klutes einziger Anhaltspunkt ist Bree Daniels (Jane Fonda) – ein Callgirl, dem der Vermisste einen obszönen Brief geschrieben hat. Klute erpresst sie mit delikaten Tonbandaufnahmen und erzwingt damit ihre Kooperation. Durch den Zufall aneinandergebunden, durchstreifen sie auf der Suche nach Hinweisen die Unterwelt von New York.

Jane Fonda als Bree Daniels vor dem Spiegel in ihrem Appartement.
Roy Scheider und Jane Fonda als Bree Daniels; sie lehnt derangiert an seiner Schulter.

Der Filmtitel bezieht sich zwar auf Sutherlands Cop, aber die Hauptfigur ist Fondas Bree Daniels. Für deren Darstellung gewann Fonda die beiden großen Schauspielpreise, den Oscar und den Golden Globe, und wurde als größte Aktrice ihrer Generation gefeiert. „[…] there’s always a vague hope“, schrieb Fonda später, „that such acclaim will make everything else fall into place. It doesn’t.[1] Für ihre preisgekrönte Performance hatte sich Fonda akribisch und mit aller Härte gegen sich selbst vorbereitet; hatte eine Woche lang Callgirls und ihre Zuhälter getroffen, hatte sich echte Kokainabhängigkeit angesehen, um die fiktive im Film zu verstehen. Fonda beschritt hier den Weg (fast) aller großen Darsteller:innen: die vorübergehende Verdrängung der eigenen Persönlichkeit zugunsten einer anderen, bis an den Rand zur Selbstaufgabe, bewundernswert strapaziös, ein bisschen wahnsinnig.

An Daniels illustriert Pakula den Alltag einer amerikanischen Prostituierten, die hier entgegen häufigen Klischeerollen als komplexer Charakter dargestellt wird. Bree Daniels, die bisweilen im Kerzenschein ein religiöses Lied anstimmt und sich einst in der John-F.-Kennedy-Kampagne engagiert hat, ist ihrem Job nicht mit grenzenloser Leidenschaft verschrieben (so sucht sie nach Alternativen, spricht in einer Szene erfolglos im Theater vor); aber er macht sie in Teilen auch glücklich, weil sie – wie sie ihrer Therapeutin anvertraut – einfach gut sei in ihrer Profession, virtuos geheuchelte Orgasmen und gespielte Romanzen beherrscht, in der Anerkennung ihrer wiederkehrenden Freier Selbstbestätigung findet. Und sie genießt die Nervosität der Männer, die sie buchen. Darin fühlt sie sich wohl, in der Rolle der Professionellen, welche die Situation beherrscht.

Einige Frauen in weißen Stühlen vor drei riesigen Gemälden an der Wand; von links schreiten drei Männer die Reihe ab.
Schwarze Silhouette eines Mannes, der in seinem Bürostuhl vor einem Panoramafenster lehnt; draußen sind mehrere Kräne und ein Hochhaus erkennbar.

Die beiden bekennenden Vietnamkriegsgegner Fonda und Sutherland hatten damals eine – laut Sutherland – „extraordinary love affair“. Sutherland gab später zu Protokoll, dass sie vor und nach ihrer Sex-Szene in „Klute“ „Liebe machten“. Vielleicht war das ja, neben all dem New Hollywood-Zeugs, ein bestimmender Faktor des beklemmenden Realismus, den „Klute“ auszeichnet.

[1] Fonda, Jane: My Life So Far, London 2006 [2005], S. 280.

Text verfasst von: Robert Lorenz