Filmtipp

Peyton Place (1957)

Kurzbeschreibung: In heimeligen Farben konfrontierte „Peyton Place“ sein Fünfzigerjahre-Publikum reihenweise mit Tabuthemen: Sex, Abtreibung, Alkoholismus – eine Introspektion der bürgerlichen Scheinheiligkeit.

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Zwei Dinge lehrt uns „Peyton Place“ gleich zu Beginn: erstens, dass nicht jeder vor 1959 gedrehte Film zwangsläufig in tristem Schwarzweiß daherkommt; und zweitens, dass die soziale Wirklichkeit in landläufigen Annahmen nicht immer korrekt abgebildet ist. Eine davon lautet, dass die – zumal amerikanische – Gesellschaft der 1950er Jahre verklemmt, prüde gewesen sei; über menschliche Fortpflanzungsrituale und Liebesspiele unter Jugendlichen sei damals nicht gesprochen worden. Erst mit der sexuellen Emanzipation im Zuge der nachrückenden Kohorten, die gemeinhin mit dem berühmt-berüchtigten Generationslabel „68“ versehen sind, habe sich das geändert. Mitnichten.

Blick auf eine Menschenmenge aus Kleinstädtern.

Bereits in der ersten halben Stunde wird in „Peyton Place“ mehr über Sex geredet, als man sich das für sämtliche Filme der 1950er Jahre zusammengenommen vorgestellt hat. Das mag freilich etwas übertrieben sein; aber in „Peyton Place“ – in den USA 1957 und in der Bundesrepublik 1958 erstmals gezeigt, für neun „Oscars“ und zwei „Golden Globes“ nominiert – wird vom „Liebemachen“ geträumt, wird geküsst und vergewaltigt. Es geht um uneheliche Kinder, Generationen- und Geschlechterkonflikte sowie den Umgang mit Normverletzungen und Werteverschiebungen. Auch Suizid, Abtreibung und Alkoholismus werden thematisiert. Der deutsche Titel fasst all das in die Metapher „Glut unter der Asche“.

Ein älterer Mann bedient an den Tresen eines Diners, ihm gegenüber sitzt ein im Anzug gekleideter Kunde.

Kein Wunder also, dass der Roman aus der Feder von Grace Metalious, der dem Film zugrundeliegt, ein skandalträchtiger Bestseller war, der bereits kurz nach seinem Erscheinen im Herbst 1956 die 15. Auflage erreichte (die Zahl verkaufter Exemplare soll sich auf eine zweistellige Millionensumme belaufen). Auf der anderen Seite des Atlantiks, in der westdeutschen Adenauer-Republik, wunderte man sich seinerzeit über den Verkaufserfolg des kontroversen, zähneknirschend „zum besseren Durchschnitt“ gezählten Romans: „Da wird kein Blatt mehr vor den Mund genommen. Es wird schlechthin alles ausgesprochen, was noch eben vor der Grenze der Polizeiwidrigkeit gewagt werden kann.“[1] Die Zeit, aus der diese Worte stammen, meinte 1958 mit Blick auf den Roman „Die Leute von Peyton Place“, in der „Enthüllungsliteratur mit stark sexuellem Einschlag“ zudem eine zeitgenössische „Bestsellerfabrikationsformel“ zu erkennen. Doch konnte sich trotz dieses Hautgouts niemand so recht der Faszinationskraft, die sich aus den Sex-Bezügen und dem Attribut „meistgelesene Autorin der USA“ speiste, entziehen.

Lana Turner als Constance MacKenzie steht am Wagen von Michael Rossi, der am Steuer sitzt und von Lee Philips gespielt wird.

Peyton Place ist eine beschauliche (fiktive) Kleinstadt irgendwo in New England, im eher sozialliberalen Osten der USA, gelegen; reinliche Straßen, gesäumt von akkuraten Gebäuden, prägen ihr Erscheinungsbild. Freilich gibt es auch Armut; doch die ist längst an den Stadt- und Waldrand weggentrifiziert worden. Die meisten Einwohner sind stolze Eigentümer fabrikneuer Automobile, in den Küchen manifestiert sich die fortschreitende Elektrifizierung der Haushalte in Gestalt von Herden und Kühlschränken; Telefone künden von einem neuen Zeitalter der Kommunikation – wohlgemerkt das alles bereits in den 1930er Jahren.

Fünf Teenagerinnen in einem Laden.

Doch die Moralvorstellungen haben mit dem technischen Fortschritt offenbar nicht Schritt gehalten. Davon zeugen zumindest die vielen kleinen Dramen, von denen „Peyton Place“ erzählt: Da ist die kluge College-Schönheit Selena Cross („Oscar“-nominiert: Hope Lange), die mitsamt den übrigen Familienmitgliedern unter der unberechenbaren Gewalttätigkeit ihres chronisch betrunkenen Stiefvaters (ebenfalls „Oscar“-nominiert: Arthur Kennedy) leidet; oder die von ihren Schülern verehrte Lehrerin Elsie Thornton (Mildred Dunnock), deren Hoffnung, auf den Posten der Schulleiterin berufen zu werden, vom männlichen Chauvinismus zunichtegemacht wird; College-Absolvent Rodney Harrington (Barry Coe), dessen reicher Vater ihm die Beziehung zu seiner großen Liebe Betty Anderson (Terry Moore) verbietet; oder die alleinerziehende Constance MacKenzie (desgleichen „Oscar“-nominiert: Lana Turner), die ihrer Tochter gesellschaftlich inopportune Details des wahren Familienhintergrundes verheimlicht.

Zwei Menschen blicken von einem Hügel auf die Stadt herab.

All das wird jedoch verdrängt und in kleinbürgerlicher Selbstverleugnung hinter den Fassaden der schönen Häuser verbarrikadiert. Statt kritischer Selbstreflexion oder Aufbegehrens gegen die Missstände herrscht eine geradezu hysterische Wachsamkeit, dass die unausgesprochenen Moralkodizes auch ja befolgt werden. Oder wie Constance MacKenzie treffend bemerkt: „Well, in Peyton Place, two people talking is a conspiracy. A meeting is an assignation, and getting to know one another is a scandal.

[1] Walter Abendroth: Das Liebesleben der Leute, in: Die Zeit, 06.11.1958.

Text verfasst von: Robert Lorenz