Filmtipp

Lohn der Angst (1953)

Kurzbeschreibung: Mit „Lohn der Angst“ schuf Henri-Georges Clouzot ein zeitloses Meisterwerk der Leinwandkunst, einen Film, in dem sich ein urmenschliches Gefühl wie Angst beinahe zu etwas Greifbarem konkretisiert – und einen der nervenzerreißendsten Roadtrips der Filmgeschichte.

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Die Schatten der Lamellen aus der Verandaüberdachung legen sich wie Gefängnisgitter über ihre Körper – Glücksjäger ohne Beute, arbeitslos in einer Gegend, die kaum Arbeit zu bieten hat. Alle sehnen sich nach einem Flugzeugticket, das sie wieder zurückbringt aus Südamerika, aber keiner kann es sich leisten. In der Hitze dieses gelangweilten Nichtstuns kocht der Verdruss, jeden Moment steht eine Prügelei im Raum – in jedem zünftigen Western wäre längst jemand erschossen worden.

Das Nest, in dem sich die Verlierer in ihrer kollektiven Ausweglosigkeit tummeln, erscheint dank der Inszenierung binnen weniger Filmsekunden als seltsame Mischung aus primitiver Armut und lebensfroher Nonchalance. Kinder spielen im Dreck, abends wird getanzt und gesungen. Ein US-amerikanischer Ölkonzern beutet derweil die Ressourcen aus, der Wert eines Menschenlebens liegt unverrückbar unterhalb des Ölpreises. Ab und an kommt es zu tödlichen Unfällen, nach denen die Leichen und von Kopf bis Fuß verbundene Schwerverletzte mit einem Pritschenwagen in den Ort zurückgefahren werden.

Blick auf die Hauptstraße von Las Piedras, die von mehreren großen Schlammpfützen durchzogen ist und insgesamt eine ärmliche Szenerie prägt.
Nahaufnahme von Yves Montand als Mario Livi, der mit halb entblößtem Oberkörper in müder Aufmerksamkeit und mit einem Zigarettenstummel im Mund auf der Hotelveranda sitzt.

In dieser schweißtreibenden Atmosphäre der angestrengten Tatenlosigkeit kommt eine lebensgefährliche Mission als Erlösung daher. Ein Ölfeld steht in Flammen und das Ölunternehmen sucht nach vier Fahrern für einen unverzichtbaren Nitroglyzerintransport; das hochexplosive Gemisch, bei dem schon die geringste Menge für einen imposanten Knall sorgt, lagert in einfachen Kanistern, die wiederum auf gewöhnliche Lkws verladen werden – ein Himmelfahrtskommando zwar, aber ein lukratives. Die 2.000 Dollar, die jedem Überlebenden winken, sind das Ticket in eine bessere Zukunft. Die Erdölbürokraten wissen auch diese Schwäche auszubeuten. Obendrein müssen sich die Kandidaten auch noch einer Auswahlprozedur unterziehen, obwohl die Aussicht einer Rückkehr doch bescheiden ist.

Zwei Fahrzeuge setzen sich im Morgengrauen in Marsch, mit jeweils zwei Fahrern, die sich ablösen und einander unterstützen sollen. An diesem Punkt im Film geht die surreal-endzeitliche Atmosphäre des Dorfes Las Piedras über in eine widersprüchliche Konstellation aus idyllischem Palmenflair und finsterem Horizont, eine Landschaft mit beklemmendem Wasteland-Hautgout tut sich auf – „Lohn der Angst“ wirkt einstweilen wie der Urknall der ein Vierteljahrhundert später begonnenen „Mad Max“-Reihe.

Die 6.000 Kilometer lange Fahrt auf den unwegsamen Straßen der Gebirgspässe oder durch den Dschungel ist ein nervenzerreißender Drahtseilakt: Fährt man zu schnell oder zu langsam, droht die tödliche Explosion – schon ein einzelner Tropfen könnte mit seiner gewaltigen Sprengkraft einem das Leben kosten. Das ist Hitchcock-Suspense ohne Hitchcock.

Nachtfahrt, Blick vom vorderen linken Kotflügel auf die unwegsame Straße, im Hintergrund zwei einsame Palmen.
Nachtfahrt, Profilaufnahme von Peter van Eyck und Folco Lulli als Trucker in der Fahrerkabine.
Charles Vanel und Yves Montand an einem Tisch zu zweit in der Hotelbar.

William Friedkin, der mit The French Connection“ (1971) und The Exorcist“ (1973) in kurzen Abständen gleich zwei der wichtigsten Werke der an wichtigen Werken keineswegs armen 1970er Jahre geschaffen hatte, drehte 1977 mit Sorcerer ein Remake von „Lohn der Angst“. Die Spannung, die Henri-Georges Clouzot in seinem ein Vierteljahrhundert älteren Klassiker zum Kochen brachte, die erreichte Friedkin indes nicht. „Sorcerer“ entfaltet an anderen Stellen seine Stärken, etwa der dreckigen Postkolonialstimmung, die sich zu Beginn des Films in kraftvollen Bildern entfaltet. Er ist mehr als ein visuelles Update, aber irgendwie auch weniger als Clouzots Original (beide Filme basieren auf Georges Arnauds Roman „Lohn der Angst“ aus dem Jahr 1949). Natürlich drängt sich hier ein Double-Feature als Filmerlebnis auf.

Aber zurück zu Clouzots Film: Selbstverständlich geht es auf den ersten Kilometern der Fahrt darum, die Situation permanenter Todesbedrohung kinematografisch auszukosten – die fragile Ladung auf holprigen Straßen und Pfaden. Kleine Pfützen werden gezeigt, wie sie ihrer sonstigen Bedeutungslosigkeit zum Trotz nun urplötzlich als immense Gefahren wirken; ein Motor stockt in der einen Szene und in einer anderen droht eine Karambolage. Auf der Motorhaube erhebt sich dezent der Herstellerschriftzug „Dodge“ – eine Reminiszenz an die nun ganz fernen Fertigungsstätten im Umkreis der weltberühmten „Motor City“ Detroit, Michigan.

Ölarbeiter am Telefon in einer kleinen Hütte, neben ihm ein Mann im Ganzkörperverband, im Hintergrund brennt ein Bohrloch mit riesigen Flammen und einer dunklen Qualmwolke.
Folco Lulli als Luigi in feiner Kleidung, Kopf und Kragen nass, in einer aggressiven Konfrontation in der Hotelbar.

Auf fast quälerische Weise lotet „Lohn der Angst“ die uralte Frage aus, wie die Aussicht auf schnellen Reichtum die Menschen mobilisiert und sie zu Leistungen anspornt, die kurz zuvor noch undenkbar schienen. Welche Kinounterhaltung sich aus einer Lkw-Fahrt herausholen lässt, weiß man spätestens seit Steven Spielbergs „Duel“ (1971); Henri-Georges Clouzots Lohn der Angst“ verdoppelt, verdreifacht diese Intensität noch. Die Inszenierung ist perfekt, die Story ist perfekt und der Cast ist es auch.

Mario Livi, der junge Korse, der es nach Paris schaffte, ehe er als Desperado im lateinamerikanischen Nirgendwo landete, war eine der ersten großen Rollen des Yves Montand (1921–1991; der Nachname des Protagonisten entspricht Montands Geburtsnamen). Von Paris schwärmt Livi mit seinem Landsmann Jo wie von einem Sehnsuchtsort, obwohl sein Schicksal in der Seine-Metropole ja überhaupt erst den Anlass zu seiner Abreise nach Südamerika gegeben haben muss. Über seinem Bett bewahrt er, wie eine Reliquie, einen Metrofahrtschein auf, bei dessen Anblick er in patriotische Nostalgie verfällt. Der Unterhemd-Macho Mario wirft sich dem vermeintlichen Grandseigneur Jo wie ein Hund vor die Füße, ehe er dessen Feigheit bemerkt und fortan nur noch mit Abscheu auf ihn herabblickt. Die Proletenkleidung, die flotte Kurzhaarfrisur, das verlotterte Halstuch und die omnipräsente Zigarette zwischen den Lippen verleihen ihm einen frechen, fordernden Look.

Nachtaufnahme von Yves Montand mit angespanntem Gesichtsausdruck am Steuer seines Trucks.
Nachtaufnahme: Rückseite der beiden parallel zueinander platzierten Lkws mit der Aufschrift „Explosives“.

Linda, die Frau, die den Korsen liebt und beim Putzen auf dem Fußboden der Bar vor ihm wie eine läufige Hündin kriecht, lässt er im Straßenmatsch zurück, als sie ihn anfleht, von der Todesfahrt doch noch im letzten Moment buchstäblich abzuspringen. Clouzot besetzte sie mit seiner Frau Véra, einer Brasilianerin, die danach noch in zwei weiteren Filmen ihres Mannes mitspielte, ehe sie 1960 an einem Herzanfall verstarb.

Der von Charles Vanel so überzeugend transformierte Jo – eine meisterhafte Darstellung menschlicher Angst – ist zwar ein alter Gangster, der sich nach Südamerika abgesetzt hat, aber nicht mehr an alte Zeiten anknüpfen kann. Folco Lulli ist Marios italienischer Zimmergenosse Luigi, der sich als Maurer durchschlägt und den eine Zementlunge bald das Leben kosten wird, weshalb er sich notgedrungen ebenfalls den Nitro-Fahrern anschließt. Vierter im Bunde der todgeweihten Trucker ist Peter van Eyck als Bimba, der die Zwangsarbeit der Nazis in einem Salzbergwerk überlebte und nun unterwegs die riskante Aufgabe übernimmt, einen Felsbrocken mit einer Thermosflasche voll Nitroglyzerin von der blockierten Straße zu sprengen – eine Sequenz, die beispielhaft dafür steht, wie es Clouzot auf der Leinwand gelingt, ein Gefühl wie Angst derart zu konkretisieren, dass es beinahe greifbar ist.

Nahaufnahme von Yves Montand mit Schweißperlen auf Stirn und Brust vor dem Hintergrund einer Hügelkette.
Truck am Abgrund auf einer brüchigen Holzplattform in bergiger Umgebung.

Was neben der Manifestation von Angst und der permanenten Spannung ein gewichtiges Moment von „Lohn der Angst“ ausmacht, sind die Metamorphosen, die Clouzot seine Filmfiguren durchlaufen lässt. Der anfangs noch komplett in Weiß gekleidete Mario ist später im ölverschmierten Schwarz nahezu entmenschlicht. Aber noch viel drastischer ergeht es Charles Vanel als Monsieur Jo. In seiner ersten Szene entsteigt er als exotisch-mondäne Erscheinung einer Passagiermaschine, die gerade auf dem Flugfeld im lateinamerikanischen Nirgendwo gelandet ist, in weißem Anzug mit Hut und Fliegenvertreiber; mit der Selbstsicherheit eines reichen Geschäftsmannes spielt er sich unter den unglückseligen Arbeitslosen als weltmännischer Zampano auf, der sogar im Angesicht eines Revolvers nicht mit der Wimper zuckt. In der Aussicht auf einen zahlungskräftigen Kunden inmitten einer Meute von Schmarotzern behandelt ihn der Wirt wie einen Fürsten, dabei hat der Neuankömmling in Wirklichkeit gerade noch so viel Geld, um den Passkontrolleur zu bestechen. Etwa eine Stunde später im Film sitzt er schweißgebadet im Unterhemd neben seinem Kompagnon Mario auf der Beifahrerseite des Trucks, vom unablässigen Todesgedanken zum Nervenwrack degeneriert. Mario indes hat sich parallel von der Rolle des unterwürfigen Sidekicks von Monsieur Jo emanzipiert, ist mit seinem verwegenen Mut nun der dominante Part dieses Truckerduos. Die Krise revolutioniert die Verhältnisse.

Eine andere große Transformation von „Lohn der Angst“ entwächst dem Spiel, das Clouzot mit seinem Publikum treibt, das er sich in seinen Einschätzungen und Erwartungen radikal täuschen lässt. Anfangs drängt sich Jo noch als berechnender Fiesling, als Manipulant auf, der das heikle Gefüge in der Bar von Las Piedras mit seinen präzisen Provokationen durcheinanderwirbelt. Später erregt er als von der Angst aufgefressenes Nervenbündel, als deformierter Mensch nur noch Mitleid. Und in Montands Mario Livi flackert das ganze Spektrum menschlicher Schwächen und Stärken auf – er ist Hedonist, Verlorener, Lakai; agiert solidarisch und erbarmungslos, liebevoll und hasserfüllt, deprimiert und euphorisch.

Mehr als in anderen Filmen ist der Ausgang der Handlung ungewiss. Nur so viel: Waren die ersten zwei Stunden magnetisierend, so sind die letzten zwanzig Minuten eine Wucht. Wir sehen eine fürchterliche Agonie, ein beklemmendes Beisammensein von Euphorie und Schmerz, eine der bewegendsten Sterbeszenen der Filmgeschichte, ein industrielles Inferno.

Nahaufnahme von Peter van Eyck, der am Abhang eines Hügels in Deckung geht.
Nahaufnahme von Yves Montand mit stoischem Blick und ölverschmiertem Gesicht.
Truck mit eingeschalteter Frontbeleuchtung bei einer Nachtfahrt durch unwegsames Gelände.

Text verfasst von: Robert Lorenz