Serientipp

Quarry (2016)

Kurzbeschreibung: Muscle-Cars, Pools und bunte Hemden versus die seelische Düsternis traumatisierter Vietnamheimkehrer: „Quarry“ ist eine originelle Inspektion der 1970er Jahre.

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Tanzbare Disco-Sounds, hochsaturierte Farben und ausladende Sonnenbrillen, das sind elementare Bestandteile der ästhetisch-kulturellen Signatur der 1970er Jahre. Diese Dekade, die sich im Geiste immer etwas nach Plastik anfühlt und braun-orange eingefärbt ist, wird mitunter – und gerade im Kino – überschattet von düsteren Tendenzen, von Ereignissen und Stimmungen, die pessimistisch bis depressiv sind. Die mittlerweile abgregriffenen Schlagwörter hierfür lauten, vor allem mit Blick auf die USA, „Watergate“ und „Vietnam“. Ein US-Präsident musste das Weiße Haus vorzeitig verlassen und die USA waren mit einem Male nicht mehr strahlende Vorkämpfer demokratischer Freiheit, sondern hatten sich im Dschungel von Vietnam gehörig diskrediert. Eine ihrem Selbstverständnis nach unerschütterliche Weltmacht befand sich urplötzlich im moralischen Taumel. „Quarry“ ist eine originelle, finstere Reflektion dieses US-amerikanischen Komplexes. Die Serie blickt auf einen heimgekehrten Vietnamveteranen, der vielen als Kriegsverbrecher gilt, in seiner traumatischen Verirrung nicht ins zivile Leben zurückfindet und schließlich einen Job als Profikiller annimmt. Die pathologische Brutalität, so könnte man raunen, findet ihre Erlösung in fortgesetzter Brutalität unter anderen Vorzeichen.

In einem Steinbruch stehen sich neben zwei geparkten Fahrzeugen Conway, der Broker und dessen Scherge Karl gegenüber.

Logan Marshall-Green spielt diesen Kerl, der exemplarisch steht für die gänzlich unrealistische, dennoch immer wiederkehrende Vorstellung, in patriotischer Emphase für sein Land in den Krieg zu ziehen, um dann, im Falle des Überlebens, wieder zurückzukehren, in Job, Familie und Gesellschaft, als Patriot und möglicherweise sogar Held. Dass dieser Übergang alles andere als nahtlos ist und insbesondere im Falle der hunderttausenden US-Soldaten im Kontext des Vietnamkrieges gründlich misslang, haben längst etliche Filme illustriert (u.a. 1978 „Deer Hunter“, 1978 „Coming Home“, 1989 Jacknife) – ihre schiere Anzahl reicht für ein eigenes Genre.

Die soziale und materielle Infrastruktur, in die Mac Conway, US-Marine, nach zwei Touren in Vietnam, in seiner Heimatstadt Memphis, Tennessee, zurückkehrt, ist denkbar solide: ein echter Freund, Arthur (Jamie Hector), an dessen Seite er gekämpft hat; eine patente Frau, Joni (Jodi Balfour), die sich in einer Zeitungsredaktion von der Schreibkraft zur Redakteurin hochgearbeitet hat; und das Bungalow-Eigenheim mit stattlichem Pool.

Aber Conway kann mit alldem nichts anfangen, die ereignislose Normalität verstört ihn, macht ihn unglücklich und lethargisch. Hinzu kommen irre Flashback-Zustände, in denen er mitten in der Nacht nackt aus dem Haus stürmt und hinter einem geparkten Fahrzeug auf der beschaulichen Vorstadtstraße Deckung sucht. Erratische Panik und Wut sind Triebkräfte der Gesten, die Marshall-Green ziemlich beeindruckend – und fürchterlich glaubwürdig – spielt. Weil Conways Einheit ein Dorf in einem grausamen Massaker niedergemacht hat, geistert auch sein Name als Kriegsverbrecher durch die Medien; bei der Ankunft am Flughafen werden die beiden Heimkehrer Arthur und Mac von aufgebrachten Demonstranten umringt – eine Szene, in der sich die polarisierende Wirkung von „Vietnam“ auf die US-Bevölkerung ausdrückt. Als Zuschauer erfahren wir erst ganz zum Schluss, was sich damals in dem Dorf auf der anderen Seite des Globus zugetragen hat.

Zwei Marines im Gefecht in einem vietnamesischen Dorf, im Hintergrund lodern Flammen.

Conway repräsentiert in gewisser Weise eine verlorene Teilgeneration der USA. Verstoßen von der eigenen Familie, zur Arbeitslosigkeit verdammt, weil niemand einen in den Zeitungen als Kriegsverbrecher gebrandmarkten Veteranen unter seinem Firmennamen beschäftigen will, vom Militär nach erfolgtem Einsatz mit Gleichgültigkeit in die Eigenverantwortung entlassen – die Conway-Facetten beschreiben das Schicksal vieler Vietnamkämpfer, von denen inzwischen mehr durch Suizid als durch Feindeinwirkung gestorben sind und die seither exemplarisch stehen für eine Gesellschaft, die der Umgang mit seelisch und körperlich beschädigten Veteranen überfordert.

Aus dieser Konstellation formt „Quarry“ eine ganz eigentümliche Geschichte vom entwurzelten Vietnamheimkehrer. Diese Männer haben den Dschungelkrieg nicht zurückgelassen, sondern mit nach Hause genommen, in ihre Appartements und Bungalows, in denen sie mit Menschen zusammenleben, die nichts von dem wissen, schon gar nicht nachempfinden können, was sie in rund 13.000 Kilometern Ferne erlebt haben. Im Fall von Mac Conway besteht die Selbsttherapie darin, sich als Auftragskiller anheuern zu lassen. Sich an die Opfer, deren Namen auf kleinen Zetteln im Format von Glückskekssprüchen stehen, heranzupirschen, mitunter in lebensgefährliche Feuergefechte zu geraten, gibt ihm den Thrill und das Adrenalin, die im Kriegsgetümmel von Vietnam zum Alltagsrausch gehörten. Der geheimnisvolle, bedrohliche Mann, der Conways Schwächen und Nöte ganz genau kennt und den Ex-Marine als Killer engagieren will, nennt sich selbst nur der „Broker“ – ein kriminelles Mastermind, für das eine Handvoll Gewaltspezialisten arbeiten und dessen wahre Ziele sich erst im Verlauf der Serie enthüllen.

Nahaufnahme von Peter Mullan als Broker.

Quarry“ lautet der Codename, den Conway von seinem Auftraggeber erhält. Das englische Wort bedeutet im Deutschen „Steinbruch“ und rekurriert auf eine Zusammenkunft des Brokers mit Conway an einem abgelegenen Ort. „Quarry“ bezieht sich aber auch auf eine gejagte Person, ein Opfer – von was auch immer. Es wäre die semantische Entsprechung zu Conways labilem Zustand: als zerrüttete Persönlichkeit in einer unbekümmerten Konsumgesellschaft, die von den kaputten Männern, die reihenweise aus Vietnam zurückkehren, in ihrer Alltags- und Werte-Routine nicht gestört werden will.

Conway verfällt dem Kriegssurrogat, das ihm der Broker anbietet, wie einer Droge – selbst wenn er das nicht wahrhaben will. Zunächst hat er, mangels Job, Einkommen und wegen einer Schuld, die sein Kumpel Arthur bei dem Broker auf sich geladen hat, noch eine halbwegs plausible Legitimation für sein illegales Handeln. Während Joni händeringend versucht, Geld aufzutreiben, damit sich Mac vom Broker loslösen kann, ist doch für die Zuschauer ziemlich offensichtlich, dass der nicht mehr in das Leben eines unbescholtenen Vorstadtbewohners zurückkehren will.

Die Geschehnisse in „Quarry“ sind von teils ungeheuerlicher Brutalität: Da ist die eine Szene, in der bei einem Shootout einem Cop der Unterkiefer weggeschossen wird; und natürlich die schonungslose Sequenz am Ende der Staffel, die schließlich das berüchtigte Massaker in dem vietnamesischen Dorf zeigt, das den traumatischen Nexus der Serie bildet.

Nahaufnahme von Conway mit einer Shotgun im Anschlag.

Die originellste, interessanteste Figur in „Quarry“ ist Buddy (Damon Herriman): ein homosexueller Auftragskiller, der sich im White Trash-Wohnzimmer seiner Mutter (großartig: Ann Dowd) ausweint, weil er nicht mehr morden will. Mit ihm könnte man sich unversehens ein erfolgreiches Spin-off vorstellen. Eine der besten Szenen der Staffel zeigt Buddy, wie er beim Broker vorstellig wird, um sich für einen neuen Job zu empfehlen – statt Opfer zu observieren und zu töten, würde er künftig viel lieber die Waffen beschaffen und also eine Art Angestelltenposition im organisierten Verbrechenssystem seines Chefs einnehmen wollen. Seinen Geschäftsvorschlag veranschaulicht er mit einer selbstgebastelten Collage aus Illustriertenfotografien. Bei einem seiner ersten Auftritte spickt er frohgemut einen Baseballschläger mit Nägeln, so wie andere ihre Schuhe polieren; seine Wuteskapaden, die in grauenvollen Torturen der Opfer gipfeln, kontrastieren ziemlich genial mit lakonischen Gesten und Kommentaren.

Buddy steht mit Sonnebrille am geöffneten Kofferraum und zündet sich eine Zigarette an.

Daneben brillieren noch eine ganze Reihe weiterer Charaktere: der schnauzbärtige Killer Karl (Edoardo Ballerini); der halb tumbe, halb lebensweise Motelbetreiber Harlowe (Bill Irwin); der einbeinige Psychopath Suggs (Kurt Yaeger); die alleinerziehende Witwe Ruth (Nikki Amuka-Bird) oder der Dixieland-Drogenhändler Credence Mason (Ólafur Darri Ólafsson).

Ruth während ihres Dienstes als Diner-Bedienung im Gespräch mit Moses (gespielt von Mustafa Shakir).

Durchweg faszinierend ist die gespenstische Camouflage, mit der die Schwerverbrecher, kaum als solche erkennbar, unterwegs sind. Der Broker, Quarry oder Buddy: Sie alle wirken wie unscheinbare Mitbürger, Leute von nebenan, gewöhnlich, austauschbar.

Buddy mit einem Baseballschläger in einer verlassenen Industriehalle, vor ihm ein zu Tode geprüfeltes Opfer voller Blut.

Die Hauptfigur ist mit einer enormen Ambivalenz aufgeladen, gleichermaßen Täter und Opfer zu sein. Erlösung vom Töten und Wachsamsein findet Mac Conway nur in neuerlichem Töten und Wachsamsein. Der Broker weiß das, er ist ein formidabler Manipulant, der Stärken und Schwächen seiner Leute konsequent – und insofern gnadenlos – ausnutzt. Peter Mullan, der gebürtige Schotte, spielt ihn mit einer Glaubwürdigkeit, als hätte er sein ganzes Leben in Tennessee verbracht.

Serien, die in weiter zurückliegenden Jahrzehnten spielen, stehen und fallen mit dem Grad an gelungener Rekonstruktion des Zeitkolorits. In „Quarry“ ist stets ein politisches Hintergrundrauschen zu vernehmen aus Rassenunruhen und dem Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem demokratischen Kandidaten George McGovern und dem republikanischen Amtsinhaber Richard Nixon – jenem unglückseligen Präsidenten, dem 1972 die Wiederwahl mit einer phänomenalen Bevölkerungszustimmung gelang und der dann umso heftiger stürzte, als er 1974 infolge der Watergate-Affäre zurücktreten musste.

Im Szenenbild von „Quarry“ dominiert die materialistische Ästhetik jener Dekade mit den markant konturierten Karosserien der Fahrzeuge, den Schallplattenregalen oder dem gelb-grünen Kleidungsstil. Im Vergleich zu heute wirkt alles entschleunigt, behäbiger, gefasster – aber keineswegs fühlt man sich bei der Beobachtung behaglicher. Die Stimmung ist geprägt von einem pessimistischen Gegenwartsempfinden im Angesicht dumpfer Vergangenheit und ungewisser Zukunft. Sex und Gewalt sind Mosaiksteine einer ernüchterten Gesellschaft, in der vom chromgeschwellten Zukunftsoptimismus der Fünfziger und frühen Sechziger nicht mehr viel übrig ist.

Quarry“ ist eine extreme Allegorie der Probleme, mit denen Kriegsheimkehrer in einem von Krieg weitgehend unberührten Umfeld konfrontiert sind, und der brutalen Gewaltnischen, die in der waffenstrotzenden Gesellschaft der USA verborgen liegen. In diesem beklemmenden Korridor aus Wohlstand und Wahnsinn erregt, prügelt und schießt sich der Protagonist durch insgesamt acht Episoden, von denen keine einzige schwach ausfällt – „Quarry“ bietet ansprechende Unterhaltung auf konstant hohem Niveau.

Text verfasst von: Robert Lorenz