Dillinger (1973)
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„We’re in the money! The skies are sunny!
“ Diese fröhlichen Liedzeilen begleiten pessimistische Schwarz-Weiß-Aufnahmen unglückseliger Menschen während der Great Depression, der großen Wirtschaftskrise in den USA der 1930er Jahre, mit denen die Opening credits von „Dillinger“ unterlegt sind. Der Song „We’re in the Money“ stammt aus dem Jahr 1933, jenem Jahr also, in dem „Dillinger“ beginnt. Die Geschichte ist eine wahrhafte Räuberpistole, ihr Protagonist John Dillinger – ein Gangster – eine moderne Sagengestalt der US-Geschichte.
Der echte John Dillinger (1903–34), dem sein Darsteller Warren Oates im Gesicht tatsächlich ähnelt, wuchs zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Indiana, quasi im Herzen der USA, auf. Hineingeboren wurde er in eine Mittelschichtfamilie, in der Tatkraft und Disziplin hohe Werte waren. In diesem sozialen Klima gedieh jedoch kein gehorsamer, pflichtschuldiger Sohn, sondern ein ausgemachter Rebell. Schon als Teenager ein kaum kontrollierbarer Kleinkrimineller, wurde Dillinger mit Anfang zwanzig wegen eines Überfalls verurteilt – zu einer Haftstrafe von zehn bis zwanzig Jahren. Seine Zeit als junger Erwachsener verbrachte Dillinger also größtenteils hinter Gittern, statt sich im turbulenten Prohibitionsamerika auszutoben.
Als er herauskam, war die Great Depression über die USA hereingebrochen und Dillinger – nun Anfang dreißig – ein anderer Mann. Statt ihn für ein rechtschaffenes Leben als konventionelles, integriertes Mitglied der Gesellschaft zu resozialisieren, hatten ihn die Verbitterung über die drakonische Haftstrafe und der tägliche Kontakt zu anderen Insassen in seiner Kriminalität radikalisiert.
Als er im Mai 1934 die Gefängnismauern hinter sich ließ, war Dillinger kein reumütiger Bürger, im Gegenteil: Er wurde binnen kürzester Zeit zu „America’s Public Enemy No. 1
“[1]. Im Knast hatte er sich mit gefährlichen Gangstern angefreundet, Pläne für Raubzüge geschmiedet; und weil die Wirtschaftskrise ohnehin pessimistische Karriereaussichten auf dem Arbeitsmarkt bot war Dillinger fest entschlossen, ein durch und durch kriminelles Leben zu führen. Kaum einen Monat nach seiner Haftentlassung raubte er seine erste Bank aus, kam kurz darauf erneut ins (County-)Gefänfnis, wurde aber von einem Haufen ehemaliger Mithäftlinge befreit – die wiederum waren ihrerseits gerade ausgebrochen. Der Sheriff tot, Dillinger frei: So begann im Herbst 1934 die ebenso kurze wie legendäre Geschichte der „Dillinger Gang“.
Paramilitärisch organisierte Kriminalität
Ihre Methode bestand aus paramilitärischen Taktiken, die sie sich von dem deutschen Ganoven Herman Lamm abgeguckt hatte. Der aus Kassel stammende Lamm hatte in der preußischen Armee gedient und als Emigrant in den USA seine Kenntnisse für generalstabsmäßig geplante Raubüberfälle genutzt. Dillinger und seine gewaltbereiten Komplizen plünderten ein Waffenarsenal der Polizei und waren fortan mit Maschinenpistolen, schusssicheren Westen und Gewehren ausgerüstet, mit denen sie reihenweise Banken überfielen, fast ein Dutzend Menschen erschossen und zum Spektakel der Massenmedien gerieten – spätestens als Dillinger, zwischenzeitlich erneut gefasst, mt einer Pistolenattrappe aus Holz aus einem Hochsicherheitsgefängnis entkam.
Auf ihrem gewaltsamen Raubzug u.a. durch Indiana, Ohio und Iowa war die „Dillinger Gang“ allerdings für das FBI (Federal Bureau of Investigation), die Bundespolizei, unantastbar, da ihre Machenschaften stets in die Zuständigkeit des jeweiligen Bundesstaats fielen – und dieses hiostorisch bedingte Autonomiestreben der einzelnen Staaten von den nationalen Behörden ist in den USA seit jeher sakrosankt.
„Dillinger“ fängt diese rast- und ziellose Kriminalität, das Perpetuum mobile des Verbrechens ein. Das etwas mehr als anderthalbstündige Porträt der todbringenden Ganovenbande und der Hatz des FBI ist freilich dramaturgisch stark verkürzt. Die wechselnde Zusammensetzung der Gang ist nicht akkurat dargestellt; der Schauspieler Ben Johnson war damals ein Vierteljahrhundert älter als der FBI-Ermittler Melvin Purvisp, den er spielte; der Shootout an der Little Bohemia Lodge – im Film eine bleihaltige, mehrere Minuten andauernde Belagerung, bei der die Gangster im furiosen Kugelhagel entkommen – war in Wirklichkeit wohl nicht ganz so spektakulär: Die Mitglieder der „Dillinger Gang“ entkamen durch die Hintertür; und selbst der echte Dillinger krönte seinen Gefängnisausbruch nicht wie im Film mit der Dreistigkeit, dabei noch gleich eine weitere Bank auszurauben.
Sie trugen martialische oder verharmlosende Kosenamen – „Machine Gun“ Kelly, „Handsome“ Jack Klutas oder „Baby Face“ Nelson –, hielten das Land in Atem und dominierten die Schlagzeilen. Nachdem in den Roaring Twenties finstere Gangsterbosse die Großstädte terrorisiert hatten, ballerten sich in der Great Depression der Dreißiger kleine Gangs ihren Weg aus den Banken, die sie überfielen. Das New Hollywood-Kino der späten Sechziger und frühen Siebziger nahm sich ihnen an und bannte ihre rücksichtslose Philosophie, ihre eitle Selbstverliebtheit und ihre unbedingte Brutalität auf Zelluloid und warf sie auf die große Leinwand. Das wilde Gangsterpaar aus Arthur Penns „Bonnie and Clyde“ (1967) wird von John Dillinger, dem titelgebenden Protagonisten in „Dillinger“, nur belächelt – nicht ohne Eifersucht auf deren anhaltende Präsenz in den Medien. Das reale Gaunerpärchen starb nur wenige Monate vor Dillinger.
Das Debüt des John Milius
Ein Stoff also, wie für Hollywood gemacht. Das Mastermind hinter der Dillinger-Verfilmung heißt John Milius. Er führte Regie und schrieb das Drehbuch. Milieus hatte einen großen Erfolg mit dem Drehbuch zu Sydney Pollacks „Jeremiah Johnson“ (1972), aber noch einen viel größeren einige Jahre später mit dem Drehbuch zu Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ (1979). Wie sein Kollege Walter Hill war John Milius einer der besten und begehrtesten Drehbuchschreiber, die während der Siebziger im Dienste von Hollywood standen. Und wie Hill wollte auch Milius sein kreatives Spektrum erweitern, wollte auf dem Regiestuhl Platz nehmen. Hill debütierte 1975 mit dem Great Depression-Drama „Hard Times“, Milius zwar bereits 1970, aber sein Great Depression-Gangsterdrama „Dillinger“ war der Film, der ihn als Regisseur etablieren sollte, für den er auch das Drehbuch schrieb und bei seiner sonst hohen Gage Abstriche machte. Milius steckte also viel Leidenschaft und Tatkraft in diesen Film, womit er wohl das schmale Budget wettmachte.
Milius wollte die Ganoven-Legende auf Leinwand bannen, wollte diesen famosen Dillinger, von dem in den USA fast jeder schon irgendwann einmal gehört hat, auf dem Gipfelpunkt seines kurzen Lebens zeigen. Der Film ist kein klassisches Biopic, denn er Kindheit und Jugend des Verbrechers blendet er aus, konzentriert sich stattdessen voll und ganz auf die Jahre 1933/34, in den Dillinger und seine Komplizen den Mittleren Westen unsicher machten. Wie prominent – und berüchtigt – Dillinger auf der anderen Seite des Atlantiks ist, deutet eine Szene aus den „Simpsons“ an, in welcher der Teufel die „jury of the damned
“ benennt, in die auch John Dillinger berufen wird (u.a. neben Richard Nixon). Und das abgelegene Hotel Little Bohemia Lodge am Little Star Lake in Wisconsin, bei dem sich das FBI seinerseits an einem peinlich gescheiterten Überfall auf die dort eingekehrte „Dillinger Gang“ versucht hat, wirbt noch heute mit dem Slogan „At Little Bohemia, getaways aren’t just for gangsters anymore
“ und schärft seinen potenziellen Gästen ein: „and remember … Dillinger only left because he had to!!!
“.[2]
Sympathischer Mörder
„This could be one of the big moments in your life
“, sagt Dillinger in der ersten Szene, mehr zum Filmpublikum gerichtet als zu den Menschen in der Bank, die er gerade überfällt. Von der „Dillinger Gang“ ausgeraubt zu werden, heißt sein Geld an die Besten zu verlieren – und fortan eine Geschichte parat zu haben, die sich noch den Enkelkindern erzählen lässt. Sagt zumindest Dillinger. Es ist dieser kokette Narzissmus, gepaart mit Eitelkeit und Ruhmsucht, den Milius herausarbeitet. Später wird Dillinger, in einem seltenen Moment der Selbstreflexion, sagen: „All my life, I wanted to be a bank robber. Carry a gun, wear a mask. Now that it’s happened, I guess I’m just about the best bank robber they ever had.
“
Im Kontrast zu seinem mörderischen Handwerk wurde Dillinger von Menschen, die ihm begegnet waren, meist als sympathisch, nett, stilvoll beschrieben – alles andere als das Stereotyp des grobschlächtigen Banditen. Und so lässt Milius ihn auch wirken: als Gentleman-Kriminellen, mit verschmitztem Grinsen und stets lockeren Sprüchen auf den Lippen. Aber nicht nur. Milius’ Dillinger ist auch ein cholerischer Autokrat, der keinen Widerspruch duldet, Freundin und Komplizen gewaltsam packt und zerrt, wenn ihm etwas nicht passt. Aber schon diese, vermutlich realistische, Ambivalenz war dem Direktor des FBI zu viel des Guten: Noch kurz vor seinem Tod, und ein ganzes Jahr vor der Premiere von „Dillinger“, diktierte J. Edgar Hoover (1895–1972), auch fast drei Jahrzehnte nach Dillingers Tod noch immer im Amt, seine Ablehnung des Films und dessen angeblicher Verherrlichung von üblen Kriminellen.
Dabei erscheinen die Gangster auch bei Milius als ruchlose Individuen, die – wie zu Zeiten des Wilden Westens – die unübersehbare Weite des amerikanischen Heartland ausnutzen, um sich immer wieder der Polizei und den Behörden zu entziehen, in abgeschiedenen Häusern Unterschlupf zu suchen und schwer bewaffnet von Stadt zu Stadt zu vagabundieren; die sich von einer Bank zur nächsten entlang hangeln, freilich immer der Gefahr ausgesetzt, erwischt, verhaftet oder tödlich getroffen zu werden.
Proteste aus dem FBI
Aber vermutlich störte sich Hoover, der Übervater des FBI, schlicht daran, wie Milius das Bureau und dessen Methoden darstellte. Zu Beginn des Films wird uns Melvin Purvis vorgestellt: als FBI-Chef im Mittleren Westen (der echte Purvis leitete lediglich das FBI-Büro in Chicago). Purvis (1903–60), im selben Jahr wie Dillinger geboren, war ein schnell aufstrebender Staatsbeamter, der 1932 in die Stadt gerufen wurde, in der bis kurz zuvor noch Al Capone gewütet hatte und die bis heute ein Topos der amerikanischen Bandenkriminalität in den Roaring Twenties ist.
Ben Johnson spielt ihn: Wie ein hochgeborener Monarch lässt er sich vor dem Zugriff von einem Mitarbeiter die im Mundwinkel festgeklemmte Zigarre anzünden, streckt seine Hände aus, auf dass man ihm eine Automatik oder eine Maschinenpistole reicht. Nachdem Purvis einfach mit Zigarre und Pistole in ein Haus marschiert, das zuvor stundenlang belagert und von tausenden Patronen durchsiebt worden ist, den gefürchteten Gangster drinnen in wenigen Sekunden zur Strecke bringt und das gekidnappte Mädchen heldenhaft herausträgt, während vor ihm im Schlamm der dort verendete Delinquent liegt, ist der FBI-Mann von da an ein hartgesottener Held.
Milius präsentiert ihn uns allerdings als eine ziemlich zwielichtige Figur. Klar: Die Kerle, die Purvis jagt, sind zweifelsfreie Verbrecher und mit ihrem garstigen Einsatz von Maschinenpistolen eine lebensbedrohliche Gefahr für die Gesellschaft, nicht bloß eine Unannehmlichkeit für kapitalistische Bankiers. Aber Purvis geht gegen sie so unerbittlich vor, dass seine als Verhaftungen begonnenen Aktionen meistens an der Schwelle zur Exekution enden und damit wie in vielen anderen Filmen zeigen, dass sich üble Methoden meist nur mit gleichermaßen üblen Methoden bekämpfen lassen.
Während Purvis überall im Land berüchtigte Kriminelle festnimmt oder – viel öfter – tötet, lauert er darauf, dass Dillinger ein federal crime begeht – denn wie gesagt werden in den USA die Schranken zwischen National- und Bundesstaat peinlich genau beachtet und eingehalten. Die Absurdität dieses bisweilen allergischen Autonomieanspruchs der Countys und Bundesstaaten – in unzähligen Filmen beiläufig thematisiert – wird in „Dillinger“ an dem Umstand deutlich, dass FBI-Agent Purvis nach langem Warten endlich Jagd auf den berüchtigten Outlaw Dillinger machen kann, als der bei seiner Flucht aus dem Gefängnis im geklauten Wagen eines Sheriffs vom einen in den anderen Bundesstaat fährt, womit er gegen den „National Motor Vehicle Theft Act“ verstößt. Erst durch diese Grenzüberschreitung im Rahmen des (hier völlig nebensächlichen) Diebstahls des Fahrzeugs gerät Dillinger in die Zuständigkeit der Bundespolizei.
Eine zerstörerische Rivalität
Zwischen Purvis und Dillinger entbrennt eine erbitterte Rivalität, die den heftigen Konflikt zwischen Gangstern und FBI repräsentiert und bei der auf der einen Seite Dillinger steht, der sich ständig als „immortal“ wähnt, und auf der anderen Seite Purvis, der mit der gleichen Überzeugung wie sein Rivale dessen baldige Verhaftung verkündet.
„Dillinger“ zeigt besonders markant die brutale Logistik, die Bankrauben in Filmen schon immer zugrunde lag, hier aber auf historischen Tatsachen gründet: Die Gangster stürmen mit ihrer Beute aus dem überfallenen Gebäude, stürzen in ihre Fahrzeuge (in Western sind es natürlich Pferde, auf die sie aufspringen) und machen sich mit Volldampf aus dem Staub, um dann meist in monströse Schießereien mit der Polizei verwickelt zu werden. Im Film sind es Straßensperren mit dicken Limousinen, hinter denen sich die Cops als paramilitärische Gewalt mit ihren Maschinenpistolen verschanzt haben und sich mit den Ganoven einen Schusswechsel liefern, als handle es sich um den Straßenkampf in einer Stadt im Krieg.
Aus dieser Konstellation erwachsen brachiale Feuergefechte aus Shotguns und MPs. Dillinger ist die Fortsetzung von Jesse James mit anderen Mitteln. Die James- und Younger-Gang überfiel nach dem amerikanischen Bürgerkrieg Züge und Banken; Hollywood verfilmte auch diese Legende, etwa 1939 mit „Jesse James“ oder 1980 mit „The Long Riders“ – in beiden Filmen preschen die Outlaws auf ihrer überstürzten Flucht mit ihren Pferden durch das Schaufenster eines Geschäfts. In „Dillinger“ rasen die Räuber im Automobil davon, überschlagen sich, verschanzen sich, fliehen angeschossen.
Der kriminelle Narziss
Aus Dillingers Selbstverliebtheit, vorgetragen von Warren Oates in dessen trockener Art, entspringen bisweilen skurrile Szenen. Etwa als sein Komplize Charley Mackley (John P. Ryan) während der Fluchtfahrt mit einem Bauchschuss auf der Rückbank dahinsiecht, über seine Hinterlassenschaft im kurzen Leben lamentiert und bittet, bloß seinen Namen auf sein Grab zu schreiben, Dillinger ihm aber entgegnet, er solle sich keine Sorgen machen, da kein Knochen getroffen sei – erst das würde ihm richtige Probleme bereiten. Dann Cut: Dillinger und seine Gangsterbraut stehen vor Mackleys eilig am Straßenrand gebuddeltem Grab, an dem anstelle eines Namensschildes ein Geldschein im Wind flattert. Dillinger improvisiert ein kurzes Requiem, in welchem er zu einem absurden Pathos anhebt: Er habe kein Namensschild für Charley Mackley angebracht, denn alle Welt würde ihn kennen, er sei wie – Dillinger überlegt und findet dann einen Namen – Butch Cassidy, ja, hätte er ein Namensschild angebracht, würden findige Menschen bloß Charleys Gebeine ausgraben und für viel Geld an Touristen verkaufen.
Der Tod des Mythos und der Mythos aus dem Tod
Homer Van Meter (Harry Dean Stanton), den „Baby Face“ Nelson (Richard Dreyfuss) auf der Flucht im Angesicht der waffenstrotzenden FBI-Leute einfach zurücklässt, gerät in eine Spirale von Missgeschicken, die er allesamt mit dem trockenen Satz: „Things ain’t workin’ out for me today
“, quittiert, der sich auf seiner absehbaren Reise in den Tod zu einem kurzweilig-morbiden Running Gag entwickelt. Alle sterben sie am Ende grausame Tode. Das FBI löscht hier das Verbrechen buchstäblich aus. Und sicherlich spiegelt sich in dieser Darstellung der äußerst brutale Kampf der Bundespolizei gegen die paramilitärisch operierenden Gangster wider. Der Konflikt zwischen Gesetz und Gesetzlosen ist in Filmen schon immer mit Waffengewalt geführt worden; aber waren es in den Western immer bloß Gewehre und Revolver, sind es in „Dillinger“ schnell feuernde Maschinenpistolen und heimtückische Handgranaten – letztlich eine ganz eigentümliche Enthemmung von Gewalt, wie sie auch im Finale von „Bonnie and Clyde“ so unvergesslich inszeniert wird.
„Dillinger“ zeigt aber auch die fast mystische Welt von America’s Heartland, in dem sich all das zuträgt. Die Wirkung der Great Depression wird als derart drastisch geschildert, dass in einer Szene sogar die Gangster von ihr betroffen sind, da sie in den mittlerweile leerstehenden, verlassenen Gebäuden keine Banken mehr finden, die sie ausnehmen können. Und wo in den Western einsame Reiter durch die Weite Nordamerikas reiten, sind es hier einzelne Karossen aus den Fabriken der „Motor City“ Detroit, die auf staubigen Wegen, welche die riesigen Feld- und Wiesenareale durchschneiden, rollen und ihre Insassen zu deren ungewissem Schicksal befördern – auch darin ist die Grenze zum Wilden Westen fließend, wie bei den Maschinenpistolen lediglich von der Automatisierung kaschiert.
Obzwar Milius die Vorgeschichte auslässt und Dillinger inmitten seiner „Karriere“ zeigt, endet der Film wie konventionelle Biopics sehr linear. Dillinger wurde am 22. Juli 1934 erschossen – allerdings nicht, wie im Film, von Purvis (der darin ohnehin stellvertretend für mehrere andere FBI-Agenten die gesuchten Verbrecher ausschaltet). Dillinger war eigentlich schon entkommen, doch verkehrte vergleichsweise unvorsichtig in der Öffentlichkeit – wo doch sein Gesicht inzwischen, und vermutlich zu seiner Genugtuung, im ganzen Land bekannt war. Cloris Leachman, die gerade einen „Oscar“ für ihre Nebenrolle in „The Last Picture Show“ (1971) erhalten hatte, spielt die rumänische Prostituierte, die „Lady in Red“, die Dillinger in die tödliche Falle lockt.
Denn nicht nur bei der Mythenbildung, auch bei Dillingers Tod spielt das Kino eine große Rolle: Der Ganove ist ein Filmfan und lässt es sich nicht nehmen, trotz der Entdeckungsgefahr immer wieder Kinosäle aufzusuchen. Leachmans Prostituierte weiß das, verrät es dem FBI und spaziert mit Dillinger aus dem „Biograph Theater“ in Chicago, wo ihn Purvis stellt – und erschießt.
[1] O.V.: Dillinger Slain in Chicago; shot dead by Federal Men in Front of Movie Theatre, in: The New York Times, 23.07.1934 (URL: http://www.nytimes.com/learning/general/onthisday/big/0722.html [eingesehen am 16.11.2017]).
[2] Siehe URL: http://www.littlebohemialodge.com/ [eingesehen am 16.11.2017].
TextRobert Lorenz
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