Filmtipp

Urban Cowboy (1980)

Kurzbeschreibung: Um ein mechanisches Bullriding in einem Country-Nachtclub baut James Bridges seine Lifestyle-Studie des texanischen Ölarbeitermilieus. In „Urban Cowboy“ schwitzen, bluten, lachen und weinen John Travolta und Debra Winger.

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Ein „Lone Star“-Bier und der Cowboyhut, mehr braucht man nicht für einen Abend im „Gilley’s“. Der Tanzschuppen am Rande Houstons, neben San Antonio und Dallas eine der wenigen Metropolen von Texas, bietet reichlich Platz für Tänze, Saufgelage und Prügeleien. Tatsächlich ist der Amüsiertempel sogar der größte Tanzclub der Welt – keiner besitzt mehr Quadratmeter Fläche. Damit die Raufereien unter den betrunkenen Raffineriearbeitern nicht eskalieren, stellt der Betreiber kurzerhand einen Punchingball und ein mechanisches Bullriding auf. Für eine Handvoll Dollar können die Gäste dort zeigen, was in ihnen steckt. Im Nu ist das Gerät im öden Pasadena die Attraktion schlechthin.

Blick auf eine unbemannte Bullriding-Maschine bei einem Rodeowettbewerb; die Fläche ist umgeben von mehreren Zuschauerreihen.

Einer, dem es das Rodeo angetan hat, ist der junge Hilfsarbeiter Bud (John Travolta), der neu in der Stadt ist. Gerade erst hat er in seinen Ford-Pick-up geschwungen und die Farm seiner Eltern verlassen. Während er tagsüber in der Ölindustrie malocht, holt er sich abends seinen Kick an der Bullriding-Maschine. An der kann er seine Männlichkeit beweisen – je länger der Ritt dauert, desto mehr Applaus gibt es vom Publikum. In „Urban Cowboy“ gerät das mechanische Bullriding zum sozialen Fluchtpunkt eines Vororts von Houston. Die Faszinationskraft dieses archaischen Sports speist sich aus der Möglichkeit, darüber seine texanische Identität zu beweisen und zugleich – indem man die brachiale Hydraulik bezwingt – einen sozialen Status zu behaupten, der einem sonst als einfachem Malocher der Ölindustrie in der Gesellschaft vorenthalten bleibt.

Blick auf mehrere voll besetzte Diner-Tische.

Eine Band spielt im „Gilley’s“.

Gleich nach den ersten Versuchen gehört Bud zu den besten unter den Dilettanten. Das unheimliche Gerät aus Leder und Metall, ein maschineller Unterleibsquäler, wird zu Buds Obsession; um noch besser zu werden, trainiert er in seiner Freizeit. Während er die Maschine bezwingt, lässt er sich von seinen Kumpels feiern und von seiner frischgetrauten Ehefrau Sissy (Debra Winger) bewundern. Angeblich ließ sich John Travolta vor den Dreharbeiten eine Bullriding-Maschine liefern, auf der er so lange trainierte, bis er kein Stuntdouble mehr benötigte. Im Bullriding entfaltet sich so für Bud eine kleine Parallelwelt, Erfolge, die ihm im richtigen Leben außerhalb von „Gilley’s“ Vergnügungsstätte verwehrt sind („Let’s go to Gilley’s. It’ll make us feel better.“). Als eines Abends Wes Hightower (Scott Glenn) in die Stadt kommt, steht Bud ein Rivale gegenüber: ein lakonischer Rodeo-Profi, der wegen Bankraub im Knast saß und gerade wieder auf freien Fuß gekommen ist. Hightower verdirbt Bud gründlich den Spaß, am Ende läuft alles auf eine finale Konfrontation in „Gilley’s“ Bullriding-Wettbewerb hinaus.

John Travolta als Bud auf der Tanzfläche.

Jedoch ist das alles nebensächlich. Weder ist die Handlung sonderlich originell, noch bietet sie große Überraschungen. Was „Urban Cowboy“ allerdings auszeichnet, ist die Subkultur des texanischen Country- und Westernmilieus im Umfeld der Ölindustrie, die hier porträtiert wird. Quasi als filmische Ergänzung zum damaligen TV-Hit „Dallas“, in dem von 1978 bis 1991 (und abermals von 2012 bis 2014) das intrigenreiche Leben einer Ölbaron-Dynastie erzählt wird, schildert „Urban Cowboy“ den Alltag der texanischen Arbeiterklasse – jener Gestalten also, die auf den Ölfeldern der Ewings schuften und dabei ihr Leben riskieren. Denn die Jobs an den Öltanks und meterhohen Türmen sind extrem gefährlich; wer krank oder verletzt ausfällt, ist nicht versichert und muss auf die Unterstützung von Freunden und Verwandten hoffen. Die bekommt nach einem Arbeitsunfall Bud, der mit Sissy einen Trailer bewohnt, von seinem Onkel Bob – einem herzensguten Arbeiter, der früher einmal ein talentierter Rodeo-Reiter gewesen war, ehe ein Unfall diese Karriere zunichtemachte (ihn spielt Barry Corbin, ein in der Wolle gefärbter Texaner).

Scott Glenn erhebt sich als Wes an der Bar, gekleidet in dunklem Netzhemd und mit schwarzem Cowboyhut.

Bob bewohnt mit seiner Frau ein spießiges Einfamilienhaus am Rande von Pasadena, der Garten bildet quasi die Stadtgrenze – im Hintergrund erheben sich noch zwei Hochspannungsmasten. Der Ort ist hier eigenartig abrupt abgeschnitten, als ob an diesem Punkt das Ende der Zivilisation erreicht sei. Obwohl Pasadena kein kleiner Ort ist, wirkt alles ausgesprochen ländlich. Eine Landstraße durchzieht den Ort, an ihrem Rand haben sich Cafés, Kneipen und Tankstellen angesiedelt. Das „Gilley’s“ ist eigentlich kaum mehr als eine elektrifizierte Scheune, der Parkplatz eine riesige Staubfläche.

Eine Frau versucht, sich auf der Bullriding-Maschine zu halten.

Blick auf den Trubel an der Bar.

Hier wird eine beschauliche Welt gezeichnet, in der es sich gut aushalten lässt, wenn man nur tüchtig und solidarisch genut ist. Von frühmorgens bis abends, manchmal auch nachts, wird hart gearbeitet, in der Freizeit amüsiert man sich in Nachtclubs wie eben dem von Mickey Gilley (einem Country-Star, der sich hier selbst spielt und seinen Club für die Dreharbeiten zur Verfügung stellte). Der Club, der in den Siebzigern entstand und sich zu einer kulturellen Instanz von Texas mauserte, brannte 1990 ab; im Jahr 2003 eröffnete dann in Dallas eine Neuauflage der berühmten Tanzstätte. Neben Gilley (und dessen Business-Partner Sherwood Cryer) treten im Film noch weitere Kapazitäten der Country-Szene auf, darunter Bonnie Raitt und Charlie Daniels.

Blick auf die in rotes Licht getauchte Tanzfläche.

In „Urban Cowboy“ gibt es keine überzeichneten Figuren, dargestellt wird das ereignisarme Leben einfacher Leute. Die luxuriöse Ewing-Welt aus Dallas ist weit weg – ganz vernachlässigt wird die texanische Hochgesellschaft der Ölbosse jedoch nicht, sie zeigt sich in Pam (Madolyn Smith Osborne), der Tochter eines Ölgesellschafters, die als eine Art Sextouristin ins „Gilley’s“ kommt und, auf der Suche nach einem „Cowboy“, mit Bud eine Affäre beginnt. Und irgendwo dazwischen bewegt sich der Ex-Kriminelle Hightower, ein abscheulicher Kerl, der vor Schlägereien heimlich das Messer zückt, seinen Bullriding-Konkurrenten Bud absichtlich verletzt und seine Romanze verprügelt, um sich anschließend von ihr bekochen zu lassen.

Nahaufnahme zweier Gäste.

Urbane Cowboys: Das sind jene Stadtbewohner, die sich inmitten einer industriellen Metropole wie Dallas oder Houston ungeachtet ihrer Vertrautheit mit dem modernen Lebensstandard nostalgisch mit Stetsons, Westen und Stiefeln bekleiden, aber statt zu Pferd sich mit den großen Karossen aus der „Motor City“ Detroit fortbewegen. Sie verkörpern die eigenartig eklektische Symbiose aus unberührter Natur und hochtechnologischen Anlagen der Ölindustrie, wie sie für Texas typisch ist. Wie urbane Eruptionen ragen dort die großen Städte vom Kaliber Houston und Dallas aus dem agrarischen Flachland hervor. Die Szenerie ist quasi die Fortsetzung von Jett Rinks Ölförderexpansion in Giant“ (1956). Doch offenbar wirkte dieses latent anachronistische Midwestern-Ambiente zu Beginn der 1980er Jahre auf das US-amerikanische Kinopublikum irgendwie beruhigend, entfaltete jedenfalls eine beträchtliche Faszinationskraft und geriet damals zum gigantischen Box-Office-Erfolg.

Nahaufnahme von Sissy und Bud in einem Diner bei Dunkelheit.

Mit „Urban Cowboy“ lieferte James Bridges, der ein Jahr zuvor das kernkraftkritische „China Syndrome“ (1979) gedreht hatte, Einblicke in das einfache Leben der texanischen Arbeiterklasse – Männer und Frauen, die sich mit Stiefeln, Westen und Hüten eklektisch im traditionsbewussten Westernlook kleiden, aber von der Erdölindustrie ernähren und hubraumstarke Autos fahren. Acht Jahre nach „Watergate“ und sieben Jahre nach „Vietnam“ war das anscheinend eine erlösende Perspektive.

Nahaufnahme von einem Mann, den zwei Frauen flankieren.

In den 1970er Jahren hatten die neuen Meister des New Hollywood-Kinos in etlichen Werken wie Nashville“ (1975), Network“ (1976) oder The Candidate“ (1972) ihre Abgesänge auf die US-amerikanische Gesellschaft, Politik und Presse formuliert. Nun, am Ausgang einer für die US-amerikanische Seele besonders traumatischen Dekade, wurden wieder andere Filme gedreht, die weniger schwermütig und pessimistisch daherkamen. Dazu gehörte eben auch „Urban Cowboy“, der das einfache Leben texanischer Vorstadtleute zeigt, die sich in ihrer rustikalen Heimatverbundenheit am Ende ganz wohlfühlen, eine seltsame, aber offenbar funktionierende Symbiose von Moderne und Tradition eingehen; ein Film überdies, in dem Politik, die Wirtschaftslage oder die Medien überhaupt nicht vorkommen.

Blick auf eine Massenveranstaltung, bei der sich vor viel Publikum gerade etliche Reiter durch die Arena bewegen.

Im Tanzclub trinkt, flirtet und tanzt man unbeschwert, die Arbeit am nächsten Morgen ist hart, aber wird gerecht entlohnt und die Bösen werden kollektiv verdroschen. Am Arbeitsplatz (überhaupt: Es gibt Arbeit, für jene, die sie suchen.) herrscht eine solidarische Kameradschaft und in Notlagen hilft man sich gegenseitig aus. Man ist mit wenigem zufrieden – so bedeutet für die frisch vermählten Eheleute Bud und Sissy ein vier mal acht Meter großer Trailer die Welt („New disposal, dishwasher, all the comforts of home, and what’s more it can move if we want it to!“). Von korrupter Politik, kritiklosen Medien oder verbrecherischen Konzernen fehlt dagegen jede Spur. Kein Wunder also, dass der Film damals in den USA ein kommerziell lukratives Revival der Westernkultur beförderte: Modebewusste US-Amerikaner kauften sich teure Jeans bestimmter Hersteller, in Kneipen und Bars standen plötzlich Bullriding-Maschinen. Doch auch dieser Trend fand ein rasches Ende – schon bald saßen die Hersteller auf ihren Cowboyhüten und Westernstiefeln, die verwaisten Bullriding-Geräte wurden wieder abgebaut.

Blick auf einen Fluss, im Hintergrund stehen industrielle Anlagen.

Text verfasst von: Robert Lorenz