Das Mädchen und der Kommissar (1971)
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Romy Schneider in der Badewanne, mit dem dunklen Filzhut, wie sie keck in die Kamera grinst, mit der Michel Piccoli sie gerade fotografiert; ebendieser Piccoli, wie er vor dem Steuer seines geparkten Autos sitzt und sich im Dunkel der Nacht eine Zigarette anzündet – eine von ungefähr hunderten, die er während des Films raucht –; wieder Romy Schneider, wie sie mit unnachahmlichem Blick voll skeptischer Melancholie durch eine Fensterscheibe das Geschehen beobachtet; und wieder Piccoli, wie er einfach nur dasteht, in einem unscheinbaren Raum, den Kopf mit leerem, entgeistertem Blick leicht zur Seite gewandt: In „Das Mädchen und der Kommissar“ gibt es kaum eine Einstellung, die man nicht als ausdrucksstarke Fotografie festhalten und für die Galerie drucken könnte. Die Badewannenszene ist prominent, die übrigen Bilder atmosphärisch so filigran arrangiert, dass dieser Film eigentlich auch ganz gut ohne jeglichen Dialog auskäme und man als Zuschauer trotzdem den Inhalt verstände.
Aus heutiger Sicht ist der Film vollgesogen mit dem Zeitkolorit der frühen Siebziger, ein visuelles Dokument seiner Dekade, in seiner Farbgebung sichtlich alt, aber keineswegs angestaubt, blass oder gar antiquiert. Die ganze Zeit wird geraucht, überall, in beinahe jeder Situation. Es gibt fast keine Szene, in der nicht mindestens eine Zigarette glimmt. Die Fahrzeuge – allen voran ein besonders charakteristischer Citroën „ID“ –, die Bars und Cafés, die Büros und Wohnungen mit ihrem Mobiliar und natürlich den klobigen Plastiktelefonen: Überall sind die frühen Siebziger spürbar, was dem Film ein ganz eigentümliches, immer leicht tristes Ambiente verleiht. Eine Jacke, ein Hut, ein Blick, eine geringfügige Geste, ein Schaufenster oder ein Lampenschirm haben hier eine ähnlich explizite Ausdruckskraft wie das gesprochene Wort. Wie bei Chabrol oder Melville, den anderen großen Atmosphärikern des französischen Kinos, scheint Claude Sautet, der Regisseur von „Das Mädchen und der Kommissar“, die Handlung als Vehikel für die Stimmung zu nutzen, nicht umgekehrt.
Michel Piccoli spielt Max, einen Pariser Kriminalkommissar, der es leid ist, dass ihm und seinen Kollegen ständig die Ganoven entkommen. Deshalb hat er sich in den Kopf gesetzt, sie auf frischer Tat zu ertappen, statt ihnen wie sonst vergeblich hinterherzujagen. Und wie so oft (zumindest in Filmen) erfordert die polizeiliche Raffinesse, die hierzu nötig ist, das Gesetz ein Stück weit selbst zu übertreten. Eine Gruppe von Schrotthändlern, die sich von Deal zu Deal hangeln, steht ohnehin im Visier der Polizei des Pariser Vorortes Nanterre; und ihr Kopf, Abel (Bernard Fresson), ist zufälligerweise ein alter Armeekamerad von Max, den er bei einem vermeintlich zufälligen Treffen eiskalt ausfragt – und sofort das Deliktpotenzial dieser Outlaws im Kleinformat, notorischer Loser und Troublemaker, erkennt.
Der Kommissar legt sich flugs eine Undercover–Identität zu, mit der er als Freier der Straßenprostituierten Lily (Romy Schneider) gegenübertritt. Sie ist Abels Freundin und gehört zu der Clique der armseligen Gauner, die Max in flagranti erwischen will. Ihr gegenüber gibt er sich als einsamer Bankier aus, der dicke Geldbündel auf den Tisch legt, aber statt Sex nur reden will. Beiläufig füttert er Lilys Sehnsucht nach schnellem Reichtum – mittelbar auch die von Abel und dessen Kompagnons –, indem er von einer Bank erzählt, die angeblich ein paar Mal im Monat eine stattliche Summe im Tresor lagere. Und tatsächlich: Abel und seine Leute beißen an, planen einen Coup, der ihnen endlich einmal so viel Geld verspricht, dass sie ihr Leben vielleicht in neue Bahnen lenken können – den sie ohne die Stimulation durch Max aber wahrscheinlich niemals gewagt hätten. Durch Max’ Manipulation lassen sich die kleinen Schrottdiebe also zu einem „großen Ding“ anstiften.
„Das Mädchen und der Kommissar“ – ein klassischer Autorenfilm, bei dem Regie und Drehbuch aus einer Hand stammen – ist kein gewöhnlicher Krimi; es geht um Fundamentales im Einfachen, um Sehnsüchte, Träume, Verrat und Täuschung. Ein Happy End braucht hier niemand zu erwarten; wie es die Häufigkeit des realen Lebens diktiert, werden hier binnen kurzer Zeit Schicksale zerrissen und das Potenzial auf zufriedene Leben vergeudet. Das Werk eines Einzelnen, der sich zu einer Aktion entschließt, determiniert die Zukunft vieler anderer – die freilich, wären sie anders gelagert gewesen, auch gegenläufige Entscheidungen hätten treffen können; am Ende reagieren sie lediglich auf Verlockungen und Gefahren eines vergifteten Milieus. Wie bei anderen Sautet-Filmen bleibt man als Zuschauer vor einem Trümmerhaufen des Schicksals zurück, während Philippe Sardes melancholisch-pessimistische Musik die letzten Sekunden begleiten. Das audiovisuelle Zusammenspiel von Kamera und Score ist wie in nur ganz wenigen Filmen superb.
Die Hauptfiguren, die uns Sautet präsentiert, sind allesamt – spätestens am Ende des Films – Verlierer des Lebens: Lily entkam einst nur knapp einem Sumpf aus Drogen und Alkohol, von irgendeinem Kerl in Trier „süchtig gemacht“, wie die französische Polizei in ihren Akten notiert hat. Abel flüchtete sich in die Fremdenlegion, im Glauben, einen Mann getötet zu haben; dabei war der nur schwer verletzt – zehn Jahre umsonst abgetaucht, wie Abel sein Schicksal belächelt. Anschließend hat er nicht mehr Fuß gefasst, lebt nun mit Lily zusammen, aber will „keinen Sous“ von ihr annehmen, liegt stattdessen antriebslos auf dem Bett im Appartement oder jongliert im gelegentlichen Party-Eskapismus gekonnt ein Tablett mit Gläsern. Und schließlich Max: Abgesichert durch das Geld einer wohlhabenden Familie, der Bekämpfung des banalen Verbrechens verschrieben, wirkt er immer leicht abwesend, manchmal wie ein Untoter in einem besonders trüben Soziotop.
Passend zu der perfiden Mimikry des Kommissars und den verstohlenen Gaunern zeigt Sautet die Handlung aus dezenten Beobachterperspektiven. Und jedes Mal, wenn sich zwei Charaktere allein in einem Raum befinden, lässt er die Kamera über die Schulter der einen Person die andere in den Blick nehmen – der ganze Film ist ein schier endloses Ensemble perfekter Arrangements. Die schmierige Kleinkriminellen-Aura der Schrottleute, die tagsüber auf ihrer Halde neben einer brennenden Abfalltonne herumlungern, wird kontrastiert mit kurzen Exkursionen in Kneipen und Cafés. Piccolis Kriminalkomissar wirkt in seiner Stille und Melancholie, mit tristem Mantel und Hut, mehr vermummt als bekleidet – wie der Protagonist eines amerikanischen Film noir. Und Romy Schneider wirft sich für ihre Sexarbeiterin in anmutige Posen, aus denen jederzeit ein Gemälde entstehen könnte. Zuerst tritt sie in einer lasziven Lackklamotte auf, dann mit einem ausgreifenden Lidschatten, schließlich die berühmt gewordene Badewannenszene mit Hut. All dies wird komplettiert durch die feinfühlig eingesträuten Trompeten- und Xylophonklänge von Philippe Sardes Instrumental-Score. Man kann, auch mit Blick auf den kurz zuvor gedrehten „Les choses de la vie“ (1970), dem Filmgott nur danken, dass diese bravourösen Paarungen – Sautet und Sarde, Schneider und Piccoli – auf der Leinwand zueinander gefunden haben.
TextRobert Lorenz
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