Filmtipp

Postcards from the Edge (1990)

Kurzbeschreibung: Autobiografisch inspiriert von Carrie Fishers Beziehung zu ihrer Mutter Debbie Reynolds und der Filmbranche ist „Postcards from the Edge“ ein tragikomischer Blick auf Hollywood und seine Star-Karrieren.

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All die Neurosen, Eitelkeiten, Egoismen, Traumata, die im Getriebe der kalifornischen Traumfabrik als Schmiermittel zur Herstellung großer Kunst offenbar nötig sind, stecken in diesem Film. Und er ist zugleich eine erstaunlich intime Offenbarung. Denn das Drehbuch stammt von Carrie Fisher (1956–2016), die Hollywood mit seinen Segen und Flüchen selbst sowohl vor als auch hinter der Leinwand kennengelernt hat. Und es handelt von der Beziehung zu ihrer Mutter, Debbie Reynolds (1932–2016), einem Star des Fünfzigerjahre-Kinos. Beide sind im Dezember 2016 kurz nacheinander verstorben – das allein ist ja eine unglaubliche Geschichte, wie sie eigentlich nur Hollywood schreiben könnte.

Shirley MacLaine als Doris Mann in rotem Kleid in lasziver Pose auf einem Flügel, an dem ein Mann spielt.

Fisher – die gleich mit ihrer ersten großen Rolle, der Prinzessin Leia Organa in Star Wars“ (1977), mit Anfang zwanzig einen monströsen Erfolg zu verkraften hatte – stammt aus einer waschechten Showbiz-Familie. Ihr Vater, Eddie Fisher, feierte in den 1950er Jahren große Erfolge als Sänger und reihte sich später in die legendäre Liste von Liz Taylors Ehemännern ein; ihre Mutter, Debbie Reynolds, war ein Filmstar, der u.a. mit Gene Kelly im weltberühmten Singin’ in the Rain“ (1952) über die Leinwand tanzte.

Meryl Streep als Suzanne Vale in Polizeikostüm am Set, festgebunden an einer Kaktus-Requisite; im Vordergrund steht ein Assistent mit Klemmbrett.

Gene Hackman als Regisseur am Set im Gespräch mit einer Assistentin.

Natürlich steckt viel von Carrie Fishers Erlebnissen in den Dingen, die Suzanne Vale (gespielt von Meryl Streep), die Protagonistin von „Postcards from the Edge“, durchmacht. Eine solche Lebensnähe im Film – der teils selbstquälerische, teils zufriedene Blick zurück auf zwar leidvolle, aber auch letztlich überstandene Erfahrungen – hat ja immer etwas ungemein Faszinierendes. Doch dass Shirley MacLaine (Jahrgang 1934) hier wie ein Klon der nahezu gleichaltrigen Reynolds (Jahrgang 1932) daherkommt, ist schon ein Ding. Der Film ist so etwas wie Fishers Katharsis, erzählt vom Segen und Fluch ihres Lebens und wirft einen zynischen Blick auf die Filmbranche. Herausgekommen ist ein satirisches Drama, manchmal frei erfunden, manchmal bis in einzelne Dialoge hinein autobiografisch gefärbt.

Der Plot ist simpel: Die junge Schauspielerin Vale kokst sich ihre Sorgen weg und gefährdet damit die Produktion der Filme, an denen sie mitwirkt. Schließlich erwacht sie in einer Klinik, völlig desolat und ohne Erinnerung an die letzten Stunden, dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen. Drogenentzug und Therapie stehen nun auf ihrer Lebensagenda, die Filmkarriere droht zu scheitern – und wie ein schwer erziehbarer Teenager muss sie zurück ins Haus ihrer Mutter.

Doris und Suzanne mit ernüchterten Mienen am Treppenaufgang im Haus von Doris.

Postcards from the Edge“ – der in Deutschland den entweder mit besonders böser Ironie oder mit einer völlig seichten Verkennung seines Inhalts unter dem Titel „Grüße aus Hollywood“ herauskam – ist also gewissermaßen eine erfahrungsgesättigte, aus der Realität gegriffene Erzählung des Lebens und Leidens in den illustren Hollywood-Zirkeln von L.A. Dass die phänomenalen Möglichkeiten, die eine Filmkarriere eröffnen, auch zur unerträglichen Bürde werden können – unter der wohl auch Carrie Fisher zerbrochen ist, als sie sich mit Ende zwanzig in der Rehab wiederfand –, fasst Suzanne Vale einmal in die Worte: „I can’t feel my life“ – ein Satz, mit dem sich vermutlich ganze Generationen von Hollywood-Stars insgeheim identifizieren könnten.

Nahaufnahme von Suzanne mit Sonnenbrille im Auto auf der Beifahrerseite beim Blick durch das Türfenster.

Überhaupt: Streep und MacLaine liefern sich Wortgefechte, aus denen mit entlarvender Offenheit jahrzehntealte Konflikte zweier Menschen, hier: Mutter und Tochter, sprechen („Remember my 17th birthday party when you lifted your skirt up …“). Die Überraschungsparty, zur Heimkehr der Tochter aus der Klinik veranstaltet, nutzt die gealterte Aktrice, um sich mit einer spontanen Gesangseinlage in den Vordergrund zu drängen und den Gästen ihre nackten Beine zu präsentieren. In einer anderen Szene schüttet sie eine ordentliche Portion Alkohol in den Mixer, während sie ihre Tochter anhält, im Leben endlich klarzukommen. Und auch an den umtriebigen Sets lauscht der Film: etwa als der britische Regisseur Simon Asquith (Simon Callow) sich mit der Garderobenassistentin über Vales Brüste auslässt („Her breasts are rather out of shape, aren’t they?“) – und Vale das Gespräch heimlich mithört.

Suzanne Vale am Set im Polizeikostüm im Gespräch mit ihrem Regisseur. Im Hintergrund posiert ihr Stuntdouble.

Frontalaufnahme von Suzanne Vale in einer Gruppe von Menschen.

Doris und Suzanne einander abgewandt in einem Raum.

Die vielen kleinen Familientragödien sprechen hier aus absurden Details: Da ist der Stiefvater (Sidney Armus), der stumm auf dem Sofa oder Bett liegt, in den Fernseher starrt und im ganzen Film nur eine einzige Dialogzeile spricht; oder der an Alzheimer erkrankte Großvater (Conrad Bain), der gereizte Situationen mit einem „Yap, yap, yap, yap“ übertönt und statt mit seiner Frau lieber mit Suzannes Freundin nach Hause gehen will. Oder als Suzanne, nachdem sie sich heimlich am Medikamentenkasten ihrer Mutter vergangen hat, deren Alkoholismus anklagt – und die lediglich entgegnet: „Maybe I was an alcoholic when you were a teenager. […] And now I just drink like an Irish person.

Doch die beiden Frauen liefern sich den Film über nicht bloß ein destruktives Duell zweier unterschiedlich geplagter Seelen. Als Doris Mann alias Reynolds am hellichten Tag beschwipst ihren Mercedes vor einen Baum setzt und mit einer leichten Kopfverletzung ins Krankenhaus kommt, eilt Suzanne herbei, um sich nach dem Zustand ihrer Mutter zu erkundigen. Gezeigt wird eine Szene voller unerwarteter Zärtlichkeit, in der die Tochter liebevoll ihrer Mutter die falschen Wimpern anklebt, bevor diese mit ihrer Kosmetikpanzerung sehr souverän den bereits im Kliniktrakt herumlungernden Fotografen gegenübertritt.

Doris mit Drink und ausgestreckten Beinen auf ihrer Couch in einem depressiv-melancholisch ausgeleuchteten Zimmer.

Suzanne am Krankenbett von Doris, die ihre Perücke in den Händen hält.

Mit einer geradezu unverschämten Beiläufigkeit wird die Illusionskraft der Kulissentechnik demonstriert: wenn Suzanne in der Rolle einer Polizistin todesnah an einer steilen Hauswand hängt – und in Wirklichkeit horizontal auf einer Vorrichtung liegt, während im Hintergrund ein Film mit dem Straßenverkehr (in der vermeintlichen Tiefe) abläuft; oder sie mit einem Kollegen an einen Kaktus gefesselt in der Wüste steht – und sich der vermeintlich endlose Horizont als eine nur wenige Meter entfernte Wand erweist, nachdem ein Techniker eine Tür aufgestoßen hat.

Nahaufnahme von Suzanne bei einer Gesangseinlage mit Mikrofon und Band.

Dennis Quaid fällt die Rolle des promisken Charmeurs zu: Jack Faulkner ist ein romantischer Scharlatan, der die Frauen mit sanften Liebesbekenntnissen und schwülstigen Komplimenten ins Bett schwindelt. Auch die anfangs sogar noch skeptische Suzanne erliegt schließlich im pittoresken Ambiente seiner Malibu-Beach-Terrasse dem Charme der Faulkner-Säuseleien; und selbst als Zuschauer glaubt man in dieser Szene für einen Moment, inmitten dieses daueregoistischen Eitelkeitszirkus endlich einen empathischen, aufrichtigen Menschen zu sehen. Doch eine seiner zahllosen Affären, gespielt von Annette Bening, wird all das wenig später – und mit der abgebrühten Gelassenheit einer Bewohnerin des Hollywood-Planeten – als Masche eines notorischen Schürzenjägers entlarven („Buy some condoms. Don’t feel bad. He probably really likes you.“). Ganz anders Richard Dreyfuss als drollig forscher Arzt: Er schickt Suzanne Blumen, nachdem er ihren Magen ausgepumpt hat; und bei der nächsten Begegnung im Krankenhaus fragt er sie nach einem Date – Dreyfuss war in den frühen Achtzigern infolge exzessiven Kokainkonsums in der Entzugsklinik gelandet.

Suzanne im Gespräch mit Jack, im Hintergrund der Pazifik.

Nahaufnahme von Richard Dreyfuss als Arzt im Gespräch mit Suaznne.

Wie viel Wahrheit in dem Film tatsächlich steckt, wussten freilich nur Carrie Fisher und Debbie Reynolds selbst. Aber neben Sunset Blvd.“ (1950) oder A Star Is Born“ (1954) gehört er zu den schärfsten, zynischsten Blicken auf die Filmindustrie.

Text verfasst von: Robert Lorenz