Tom Jones (1963)

Filmtipp

Atmosphäre des Films:

Kurzbesprechung:

Als die British New Wave-Masterminds der Woodfall Films der Schwarz-Weiß-Tristesse ihrer avantgardistischen Kitchen sink-Dramen überdrüssig waren, drehten sie „Tom Jones“. Und nur wenige Filme in der Geschichte haben für so viel Furore gesorgt wie dieser: Als eine mit geringem Budget adaptierte Leinwandversion eines englischen Romans aus dem 18. Jahrhundert, in Farbe getaucht und entgegen dem Usus vollständig on location gedreht, begeisterte „Tom Jones“ nicht nur Kritiker, sondern spielte an den Kinokassen im Nu ein Vielfaches seiner Kosten ein und stürmte im Jahr darauf mit zehn Nominierungen – allein die Hälfte davon für Schauspielleistungen – die „Oscar“-Verleihung und räumte gleich vier der goldenen Statuetten ab, darunter die für den Besten Film. Tom Jones ist ein Findelkind, aufgenommen von einem englischen Aristokraten im 18. Jahrhundert, gewachsen zu einem stattlichen jungen Mann, der mit kindlicher Freude das Erwachsensein auslebt – und mit seinem Lausbubengrinsen sowie einer unerschütterlichen Unbekümmertheit wird er perfekt vom jungen Albert Finney verkörpert. Zum Opfer einer Intrige geworden, muss Jones hinausziehen und sich in einer feindseligen Umwelt behaupten, durch die er sich mit seinem Charme und Sexappeal säuft, rauft und schläft.

Die subtil-zynische Exkursion in die Frühe Neuzeit ist voll von anzüglichem Humor und beeindruckt mit einer Liebe zum historischen Detail, die man von einer solchen Posse gar nicht erwartet, durch welche aber die absurden und perversen Züge der damaligen (und suggestiv auch der heutigen) Gesellschaft hervortreten. Und wie als Parabel von der Dekadenz und Bigotterie der britischen Upperclass (ziemlich imposant in den Fratzen von Hugh Griffith dargestellt) sind gerade die Reichen und Reputierlichen die lasterhaften Frevler, die Sex, Alkohol und Töten zum Spaß frönen – überhaupt ist eine der eindringlichsten Sequenzen die Darstellung einer euphorischen Jagdgesellschaft, deren Treiben von militärischer Grausamkeit ist und in einem morbiden Trubel gipfelt.

Wie die britischen New WaveMacher sich in „Tom Jones“ eine Verschnaufpause gönnten, fand seine Entsprechung im französischen Kino der Nouvelle Vague in Louis Malles Abenteuerkomödie „Viva Maria!“ (1965).