Gunfight at the O.K. Corral (1957)
Social-Media-Optionen
Der Schusswechsel dauerte nicht einmal eine halbe Minute, aber ihre Überlebenden wurden zu Wild-West-Legenden und sie selbst gerann zum Mythos der amerikanischen Geschichte: die Schießerei am O.K. Corral, am 26. Oktober 1881 in Tombstone, Arizona. Der Ort war eine erst zwei Jahre zuvor gegründete Kleinstadt und hinter der hochtrabenden Bezeichnung „O.K. Corral“ verbirgt sich lediglich eine Pferdekoppel. Hier erschossen die Earp-Brüder als Gesetzesvertreter und ihr Verbündeter John „Doc“ Holliday, ein tuberkulosekranker Zahnarzt und Pokerspieler, um drei Uhr nachmittags Billy Clanton und die beiden McLaury-Brüder, die stadtbekannte Gauner waren.
Die bleihaltige Begegnung zwischen den Earps und den Clantons fasziniert die Amerikaner seit eh und je und spülte Hollywood viel Geld in die Kassen: Etliche Verfilmungen hat es gegeben, von denen die 1957er Version „Gunfight at the O.K. Corral“ weder die erste noch die letzte war. Einen skeptischen, kritischen Blick warf 1971 die New Hollywood-Interpretation „‚Doc‘“ auf Earp und Holliday (gespielt von Harris Yulin und Stacy Keach), die darin als eiskalte Killer gezeigt wurden. In den Neunzigern fiel dann noch einmal im großen Stil das Blockbuster-Kino über den Stoff her: 1993 spielten in „Tombstone“ Kurt Russell den Lawman Wyatt Earp, Bill Paxton und Sam Elliott dessen Brüder und Val Kilmer trat als Doc Holliday auf. Im Jahr darauf erschien Lawrence Kasdans Drei-Stunden-Epos „Wyatt Earp“ mit Kevin Costner in der Hauptrolle und Dennis Quaid als Holliday.
„Gunfight at the O.K. Corral“ ist der Beitrag des alten Hollywood, das hierfür gleich zwei seiner größten Stars aufbot: Burt Lancaster spielt Wyatt Earp, Kirk Douglas ist Doc Holliday. Diese Darstellung entspricht noch dem alten, irgendwann demontierten Earp-/Holliday-Mythos: eine „Bande erbarmungsloser Banditen
“ gegen „zwei echte Helden
“ – der „ewige Kampf Gut gegen Böse
“, wie es der deutsche Klappentext der Bluray verspricht. Natürlich waren die Clantons und ihre Mitstreiter vor dem Gesetz keine Unschuldigen; aber dass die Earps eigene Interessen vertraten und Zweifel an ihrer Selbstverteidigungsbehauptung bestanden, unterschlägt die Perspektive von „Gunfight at the O.K. Corral“.
Auf der Suche nach der historischen Wahrheit ist dieser Film also vermutlich völlig ungeeignet (so dauert das Feuergefecht im Film nicht wie in Wirklichkeit dreißig Sekunden, sondern mehr als sechs Minuten); aber seine Stärken liegen ohnehin woanders: „Gunfight at the O.K. Corral“ durchströmt die kraftvolle Theatralik des Fünfzigerjahrekinos, in anmutigem Technicolor, das hier die Zuschauer nicht wie so oft in übersättigten Farben ertränkt. Die Kamera filmt aus erstaunlich originellen Perspektiven, in denen sich lauter Details einer Western-Kleinstadt offenbaren; immer wieder sind die Figuren Teil eines visuellen Licht- und Schattenspiels – etwa wenn Burt Lancaster als Wyatt Earp die Hoteltreppe hinauf schreitet und vor Doc Hollidays Zimmer steht; oder als die desolate Kate Fisher langsam durch den Flur wandelt, zum heftig hustenden Holliday, in dessen Gekeuche man den nahenden Tod hören kann.
Hinzu kommen Szenen, die zeitgenössische Ölgemälde sein könnten: die Windmühle im Hintergrund der Holzveranda, während am Horizont eine Staubwolke von der Ankunft zweier Reiter kündet; ein von zwei Pferden gezogene Kutsche eilt durch die von Kakteen durchsetzte Prärie; oder die Gruppe Reiter, die vor dem dunklen Hintergrund der kargen Berge das staubtrockene Tal durchquert. Regisseur John Sturges fängt Landschaftsaufnahmen ein, welche die Schönheit und Leere des Westens in einem einzigen Bild vereinen. Es sind solche Bilder, die ein ganz eigenes Western-Feeling mit all seinen besonderen Assoziationen transportieren. Oft hat das wenig mit der Realität zu tun, ist aber schlicht ein schöner Anblick – vor allem, wenn dazu episodisch Frankie Laines Stimme im elegischen Titelsong ertönt, der in einer folkloristischen Verkürzung die Ereignisse nacherzählt und in diesen Momenten dem welt- oder auch nur US-historisch eigentlich völlig unbedeutenden Ereignis plötzlich in der Tat eine historische Größe verleiht.
Was Sam Peckinpah oder George Roy Hill in ihren Western in brutaler Zeitlupe zeigen, geschieht hier in rapider Echtzeit: Der als Hilfssheriff rekrutierte Holliday und Marshal Earp nächtigen in freier Natur, als sich eine Gruppe Männer anschleicht; beide bemerken die potenziellen Killer, stellen sich schlafend, um dann – als der erste seine Waffe spannt – gleichzeitig loszuschießen und die hinterlistigen Angreifer mit drei gezielten Schüssen in die Hölle zu schicken. Später dann, im titelgebenden Gunfight am O.K. Corral, wird die Konfrontation der beiden Gruppen als tödliches Versteckspiel inszeniert: Die Earp-Brüder und Holliday kauern in einem trockenen Graben, während sich die Clantons und ihre Helfer in einem Planwagen verschanzt haben. Der weitere Verlauf der Schießerei ist für beide Seiten ein ständiges Ducken und Deckung suchen.
Wir hören den Sheriff, der – missmutig ob seiner womöglich verflogenen Schießkünste – die Essenz seines Lebens, aber auch das unzähliger Anderer zu dieser Zeit auf den Punkt bringt: „I’ve been a lawman for 25 years. Worked every hellhole in the territory. You know what I got fot it? A $12-a-month room in a back of a cuddy boardinghouse and a tin star.
“ Wir sehen den langsam sterbenden Doc Holliday, der sich mit letzten Lebenskräften aufrafft, um seinem Freund und Waffenbruder Wyatt Earp im tödlichen Shootout gegen die Clantons und ihre Komplizen beizustehen.
In Burt Lancasters Mimik vermischen sich, nahezu ununterscheidbar, Schrecken und Zorn – der stets im schwarzen Anzug gekleidete Haudegen wirkt, als sei er Teilnehmer einer unendlichen Beerdigung. Lancasters Wyatt Earp ist hier so etwas wie die Inkarnation des unbestechlichen Gesetzeshüters, der die aufstrebende Frontier-Gemeinschaft – all die tatkräftigen Farmer und geschäftigen Gewerbetreibenden – vor brutalen, ruchlosen Leuten wie den Clantons beschützt. Doc Holliday hingegen ist der Spieler, der elegante Vagabund, der durch den Westen zieht, um an den Pokertischen viel Geld zu verdienen, bei dem allein der Weg das Ziel ist. Gefragt, wo sein Hab und Gut sei, greift Kirk Douglas’ Holliday in seine Jackentasche und zückt grinsend ein Kartendeck. Eine goldene Uhr mit der Gravur „To our beloved son Doctor John Holliday
“ erinnert ihn an das Leben, das sich seine Eltern für ihn gewünscht haben: das eines rechtschaffenen, tüchtigen Arztes und angesehenen Mitglieds der Gesellschaft.
Aber stattdessen sitzt Holliday sturzbetrunken in einer anonymen Mini-Stadt und wirft Messer an die Zimmertür. Seine Krankheit ist zugleich seine Stärke: „I don’t lose, because I have nothing to lose, including my life
“, sagt er; und: „The only thing I’m really scared of is dying in bed. I don’t wanna go little by little. Someday somebody’s go to outshoot me, and it’ll be over with real quick.
“ Selbst wenn Holliday im Hustenkrampf auf seinem Bett sitzt und sich an der meist schon halbleeren Whiskey-Flasche festhält, sieht er durch Douglas’ Vitalität eigentlich immer eine Spur zu gesund aus. Neben Kirk Douglas mit Schnäuzer bietet der Cast noch Jo Van Fleet als Hollidays Freundin Kate Fisher, die sich um ihren Doc große Sorgen macht, während er ihre Beziehung immer wieder wegwirft. Oder Rhonda Fleming als Laura Denbow, die mit Wyatt Earp ein neues Leben beginnen will, von ihm aber links liegen gelassen wird, als ihn sein Bruder Virgil (John Hudson) nach Tombstone ruft. DeForest Kelley, „Pille“ McCoy aus „Star Trek“, spielt Morgan Earp; und als Billy Clanton ist ein blutjunger Dennis Hopper zu sehen.
Mit geradezu liebevollem Blick für Details sind Dodge City und Tombstone arrangiert – etwa das Haus der Earps, wo der große Wyatt Earp mit seiner Familie ganz kleinbürgerlich am Tisch sitzt, während hinter ihm ein spießiges Ölbild einen kleinen Landschaftsausschnitt zeigt, oder das Saloon-Interieur. Aber die Gesichter sind immer zu sauber, zu rasiert, zu geschminkt, als dass sie echt wirkten. Das ist später, 1971, ganz anders in „‚Doc‘“, in dem Stacy Keach als Holliday eine ganze Zeit lang staubbedeckt durch die Gegend wandelt und Faye Dunaway als Katie Elder (die auch als Fisher bekannt war) buchstäblich schmutzig ist. „Gunfight at the O.K. Corral“ und „‚Doc‘“: Zwei Filme, die trotz derselben Geschichte unterschiedlicher kaum sein könnten – allein schon deshalb sollte man sich beide ansehen.
TextRobert Lorenz
: