Filmtipp

3:10 to Yuma (1957)

Kurzbeschreibung:3:10 to Yuma“ (dt.: „Zähl bis drei und bete“) ist einer der ungewöhnlichsten, zugleich kinematografisch schönsten Western aller Zeiten.

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Die Szenen, die Regisseur Delmer Daves und sein Kameramann Charles Lawton Jr. hier aus der Kamera kitzeln, taugen manches Mal zum Gemälde: die Postkutsche, die sich langsam am Horizont nähert; die dampfschnaubende Eisenbahn, die in den Holzplankenbahnhof einfährt; oder die Banditen, die auf ihren Pferden durch die Prärie preschen. Das sind längst konventionelle Westernmotive; aber „3:10 to Yuma“ ist alles andere als ein konventioneller Western.

Der Rancher Dan Evans steht inmitten einer Dürrephase am Abgrund seiner wirtschaftlichen Existenz, Familienvater noch dazu, und gerät unversehens in eine riskante – und das heißt im Western letztlich: lebensbedrohliche – Situation, als er Ben Wade, den Anführer einer berittenen Banditentruppe, aus einem Frontier-Kaff der Justiz in Yuma überstellen soll. Der Postkutschenunternehmer, den Wade gerade ausgeraubt hat, bietet Evans einen stattlichen Dollarbetrag für dieses Unterfangen, für das schlicht nicht genügend Gesetzeshüter zur Verfügung stehen.

Nahaufnahme von Glenn Ford als Ben Wade mit Hut und nachdenklichem Blick im Hotelzimmer.
Eine Postkutsche beginnt am Ortsausgang einer kleinen Ansiedlung ihre Reise, auf dem Dach ein bewaffneter Mann.
Dampflok in Fahrt auf freier Strecke, aus dem Schornstein tritt eine riesige Rauchwolke aus.

Der Antiheld Evans entspricht in seiner sympathischen Genügsamkeit und moralischen Haltung vollauf dem Hollywoodklischee des aufrichtigen Kerls, dem nichts Böses zuzutrauen ist. Wade indes entzieht sich dem typischen Westernbösewicht: Er ist ein professioneller Räuber, der bedauert, wenn es bei seinen Überfällen zu Toten kommt. Seine Zurückhaltung, seine Höflichkeit und sein Verständnis für Evans’ Situation sind die Quelle, aus der sich die unheimliche Bedrohlichkeit dieses Antagonisten speist – eine pragmatische, egozentrische Kriminalität, die sich stets eine unberechenbare Flexibilität bewahrt.

Richard Jaeckel als Gangster an der Spitze einer Gruppe fünf weiterer Banditen in bedrohlicher Haltung.
Evans sitzt am Tisch eines Gesetzeshüters, der wachsam sein Gewehr auf den Eingang gerichtet hat.

Und eben darin liegt die Kraft, die Wucht dieses Films: „3:10 to Yuma“ hat einige Außenszenen, auch wechselnde Locations – und ist doch das Kammerspiel unter den großen Western, das einen packt und geradezu einsperrt. Nahezu allen geschlossenen Räumen, an der unwirtlichen Frontier des Alten Westens eigentlich immer die Refugien, wird jegliche Geborgenheit genommen – der Saloon, die Hütte der Familie Evans und schließlich das Hotelzimmer, in dem Evans im Beisein seines Gefangenen der Ankunft des titelgebenden Zugs nach Yuma entgegenfiebert.

Die Besonderheit dieses Western erkennt man vor allem daran, worauf „3:10 to Yuma“ verzichtet. So gibt es kein Schießeisenspektakel, im ganzen Film wird überhaupt nur selten geschossen (auch wenn die Revolver und Gewehre natürlich als potenzielle Bedrohung allgegenwärtig sind); an den Banditen ist nichts Exaltiertes, keinerlei Exzentrik oder Überzeichnung – sie tragen allesamt unauffällige Hüte, Hemden und Westen. Und aufseiten der „Guten“, der Rechtschaffenen also, denen am Ende im US-amerikanischen Western ja stets der Triumph gebührt, ist ebenfalls nichts Auffälliges – ganz und gar gewöhnliche Leute, null heroische Ausstrahlung. Beinahe jede Szene entzieht dem Western jegliche Romantik und alles Abenteuerliche zugunsten eines wahrhaftigen, und darum nach Kinostandards sensationslosen, nüchternen Heldentums.

Leora Dana als Alice Evans auf der Hoteltreppe; sie starrt mit schockiertem Blick in Richtung Gebäudedecke, ein Schatten rechts unten im Bild deutet einen aufgeknüpften Mann an.
Blick in das schattendurchflutete Hotelzimmer; Wade, links auf dem Bett, und Evans, rechts auf einem Stuhl, sitzen sich gegenüber.

Und so exhaliert „3:10 to Yuma“ ein seltsam surreales Ambiente, ähnlich der des anderen großen Westernklassikers „High Noon“ aus dem Jahr 1952 (wozu sicherlich beiträgt, dass beide Filme in derselben Kulissenstadt gedreht worden sind). Die an der Schwelle zum Expressionismus fotografierten Szenen und die investigativen Close-ups verdichten sich jedenfalls zu einer der eindringlichsten Westernatmosphären.

Van Heflin als Dan Evans in müder Wachsamkeit auf einem Stuhl am Fenster des Hotelzimmers, auf seinem Schoß ruht eine Flinte mit kurzem Lauf.

Im Hotelzimmer einer menschenleer wirkenden Kleinstadt verkehren sich dann die Machtverhältnisse: Nicht der festgenommene, unbewaffnete Banditenboss Ben Wade, sondern sein Shotgun-bewehrter Aufpasser, der Rancher Dan Evans, ist der Gefangene. Mit einer schier teuflischen Verführungskraft versucht Wade, an die Familien- und Überlebensinstinkte des Ranchers zu appellieren, man könnte sagen: ihm ein Angebot zu machen, das er nicht ablehnen kann. Denn der in Handschellen gelegte Wade hat seine Komplizen in der Hinterhand, die ihn jeden Moment aus der Gefangenschaft schießen könnten.

3:10 to Yuma“ ist ein Western, der wie nur wenig andere die Einsamkeit der Rechtschaffenheit förmlich greifbar macht. Wenn sich eine Handvoll Reiter auf ihren Pferden einem Lehmsteingehöft nähern, während sich im Hintergrund dürre Bäume und kahle Wiesen vor tristen Hügelketten erstrecken, dann ist das nicht das fruchtbar-abenteuerliche Flair so vieler anderer Western, sondern ein Reich der Einsamkeit. Das prachtvolle Hotelfoyer, in dem sonst bunt gekleidete Reisende ein- und ausgehen, oder die Hauptstraßen der Kleinstadt, in der sich sonst betriebsame Einwohner:innen tummeln, sind hier so leer, als stünde eine atomare Apokalypse bevor.

Close-up von Felicia Farr und Glenn Ford in intimer Nähe.
Nahaufnahme zweier Hände, die etwas aus einer kleinen Schachtel auspacken; der Mann ist mit Revolver und Gewehr bewaffnet.

Diese beklemmende Kinematografie der Einsamkeit macht „3:10 to Yuma“ zu einem zeitlosen Film. Wie sehr Schwarz-Weiß-Optik und Beleuchtung den Unterschied machen, zeigt der Vergleich mit John Sturges’ „Gunfight at the O.K. Corral aus demselben Jahr. Beide Western verwenden zwar teils dieselben Kulissen und Hintergründe, doch entfaltet das Drama um den Westernmythos Wyatt Earp mit seinem Technicolor-Bombast eine ganz und gar andere Atmosphäre, die im direkten Vergleich mit „3:10 to Yuma“ an der Grenze zur reinen Fantasiewelt steht.

Und dann die Performances: Felicia Farr spielt die Frau, die mit dem – uns als Publikum zweifelsfrei als solchen bekannten – Raubmörder ins Bett geht, sich seine dauerhafte Beziehung noch herbeisehnt, als er bereits in Handschellen abgeführt wird und sie ihm die Tür zur Kutsche öffnet, die ihn in Richtung Gefängnis bringen soll (der Flirt zwischen ihr und Fords Schurke an der Saloon-Theke entfaltet jene Erotik, die der Hollywood’sche Production Code damals zu verhindern suchte). Oder Leora Dana als Alice Evans, die mit dem Gedanken an die ausbleibende Rückkehr ihres Mannes kämpfen muss und noch kurz zuvor den gefassten Verbrecher und Mörder Ben Wade als galanten Charmeur an ihrem Esstisch bewirtet und durch seine Aura unweigerlich mit der ausgeschlagenen Möglichkeit eines anderen Lebens konfrontiert wird.

Blick in den Saloon. Zur Tür kommt Ben Wade herein, Emmy blickt ihn von der gegenüberliegenden Seite des Raumes, vom Ende der Theke, an; Wade wirft einen langen Schatten in den Raum.
Nahaufnahme von drei Gesetzeshütern mit Waffen im Anschlag und konzentriertem Blick in der Hotellobby am Treppenaufgang.

Und schließlich natürlich die beiden Hauptrollen: Glenn Ford als Ben Wade und Van Heflin als Dan Evans. Man spürt in fast jeder Szene, wie Van Heflin, noch mehr aber Glenn Ford sich in ihre Rollen, die Situation, vertieft haben, wie sie sich in ihre Figuren eingraben und mit ihnen zu verschmelzen scheinen (eine Eigenschaft, die zumindest Fords Sohn später als eher düstere Seite seines Vaters im Familienleben geschildert hat).

Wie cineastische Smaragde verbergen sich in diesem Film kleine, bemerkenswerte Aspekte, die in ihrer Gesamtheit aus „3:10 to Yuma“ einen Schatz machen. So ist der neben Evans zweitgrößte Held des Films ein Alkoholiker (Henry Jones), eine vordergründig kümmerliche Figur, die in allen anderen Western allenfalls zum Sidekick taugt. Als bekannt wird, dass der berüchtigte Wade im Ort ist, da versammeln sich die Kinder am Fenster und starren mit der gebannten Neugier hinein, mit der sie die Gewalt des Westens aufsaugen – ähnlich wie später der Kino-Gewaltphilosoph Sam Peckinpah immer wieder Kinder als Zeugen der Brutalität in seine Filme einflocht.

Mann zu Pferd alleine auf der Hauptstraße einer menschenleeren Kleinstadt; im Vordergrund ein Schlild mit der Aufschrift: Hotel Contention.
Ein im dunklen Schatten nicht näher zu erkennender Mann zu Pferd auf der staubigen Straße einer Kleinstadt, im Hintergrund ein Gebirgskamm.

Die Blicke von Ben Wades rechter Hand Charlie Prince, den Richard Jaeckel in einem superben Porträt auf die Leinwand bringt, deuten eine mindestens homoerotische Verbundenheit zu seinem Boss an, die damals in den Hollywoodfünfzigern natürlich noch ein absolutes Leinwandtabu darstellte. Der schon erwähnte Abschied zwischen Wade und der Barkeeperin – zweier Menschen, die sich in ihrer Verlorenheit begegnen und darin zu kurzweiliger Intimität finden – wird inszeniert, wie man seinerzeit sonst nur die dramatische Trennung zwischen dem Protagonisten und seiner großen Liebe zeigte.

Sechs Männer an den Tresen des Hotels, fünf von ihnen mit Drinks.
Blick von einer Anhöhe aus in das Prärietal, durch das sich eine Postkutsche bewegt; im Vordergrund stehen links und rechts im Bild zwei Banditen.

Die Bahnstationsbarracke – eine kleine Kulissenberühmtheit, die in etlichen anderen Western auftaucht – mit dem Gebirge im Hintergrund, auf welches das Gleis zuläuft, könnte auch am Ende der Welt sein, wie überhaupt die manchmal menschenleere Szenerie mit halb verwitterten Gebäuden und kahlen Bäumen unter tief hängenden Wolken ein Endzeitgefühl aufkommen lassen. Und in der quälend langen Hotelzimmersequenz, von der bereits die Rede war, fängt die Kamera den von Schweißperlen überströmten Van Heflin mit gestresstem Haar, abgekämpften Gesichtszügen und verknitterter Zigarette im Mundwinkel wie das desolate Leinwandschicksal eines Nouvelle Vague-Films ein.

Fünf Banditen reiten durch eine Kakteenlandschaft, im Hintergrund staubige Gebirge.
Zweistöckiges Gebäude neben einer kahlen Baumgruppe vor bewölktem Himmel.
Aus insgesamt vier Leuten bestehender Trauerzug; ein Pferd zieht einen kleinen Wagen mit dem Sarg, auf dem ein Hund steht; im Hintergrund erstreckt sich ein mächtiger Gebirgskamm, im Vordergrund stehen kleine Grabkreuze zwischen den Kakteen.

Die mickrige Beerdigung eines Überfallopfers, bei der ein kleiner Junge vorausläuft, winzige Kreuze zwischen Kakteen die Bedeutungslosigkeit des Todes an der Frontier zu bekräftigen scheinen und ein Köter auf dem Sarg hechelt, wirkt unweigerlich wie ein Prolog auf die dreckige Optik des Italowesterns der Sechziger.

3:10 to Yuma“ ist eine unvergängliche Synthese aus Hollywoodentertainment und Arthouse-Kino – einer der Western, die nicht nur Western-Enthusiast:innen begeistern können.

Text verfasst von: Robert Lorenz